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Vor dem Hintergrund des völkerrechtswidrigen russischen Einmarsches in die Ukraine am 24. Februar 2022 beschäftigt sich die Ausstellung mit europäischen Werten, dem Schicksal und der Zukunft Europas. „From 1914 till Ukraine” stellt Arbeiten zehn zeitgenössischer ukrainischer Künstlerinnen und Künstler, die sich mit dem anhaltenden russisch-ukrainischen Krieg auseinandersetzen, Werken des Malers Otto Dix einander gegenüber. Während Dix seine Erfahrungen an der Front im Ersten Weltkrieg und als Kriegsgefangener im Zweiten Weltkrieg verarbeitet, reagieren die ukrainischen Künstler auf die verschärfte Situation, die seit 2014 in ihrem Heimatland vorherrscht. In dieser Gegenüberstellung gerät ein Jahrhundert europäischer Kriegserfahrungen in den Blick.

Otto Dix, Grabenkrieg, 1932, Kunstmuseum Stuttgart © VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Otto Dix, Grabenkrieg, 1932, Kunstmuseum Stuttgart © VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Auf das „lange 19. Jahrhundert”, wie der britische Historiker Eric Hobsbawm die Zeit von der Französischen Revolution bis 1914 nannte, folgte das „kurze 20. Jahrhundert”, das nach Hobsbawm 1991 mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion – des letzten Imperiums – endete. Die gegenwärtige Situation zeigt jedoch, dass Russland weiterhin imperiale Machtansprüche erhebt und diese durch die Eroberung von Ländern, die früher innerhalb der Grenzen der UdSSR lagen, sogar noch verstärken möchte. Das 20. Jahrhundert ist noch nicht abgeschlossen – wann wird es enden?
Aus den Schützengräben des Ersten Weltkriegs blickte der Maler (1891–1969) in die Augen eines gesichts- und namenlosen Schreckens – und hielt ihn in seinen Werken fest. Mit der Darstellung der ihn umgebenden Krater, Schützengräben und Ruinen hoffte Dix, den Gräueltaten eine Gestalt zu geben und sie zugleich hinter sich zu lassen.
Ein Jahrhundert ist vergangen und (*1987, Kiew) steht am Rande eines Kraters im zerstörten Dorf Moshchun in der Region Kiew. Sie fragt sich, wie zukünftige Gedenkstätten für den russisch-ukrainischen Krieg einmal aussehen könnten. Das Video This World is Recording (2023) zeigt ihre künstlerische Annäherung an Möglichkeiten des Erinnerns mithilfe von Landschafts- und Naturaufnahmen. Die kollektive Klangarbeit Live (2022) basiert auf Tonaufnahmen, die yna (*1995, Kiew), (*1999, Kiew), (*1997, Odessa), (*1997, Donezk) und (*2001, Krywyj Rih) an einem einzigen Tag in verschiedenen Teilen der Ukraine gemacht haben. Die Klanglandschaften der Städte Dnipro, Odessa, Uschhorod, Lwiw und Kiew vermitteln das Gefühl eines fortwährenden Lebens im Krieg – vom Ausheben eines Schützengrabens bis hin zur Stille der Ausgangssperre. (*1957, Lwiw) zeigt keine Kriegsszenen im eigentlichen Sinne, er reflektiert vielmehr über das Leben im Kriegsfall, der seit dem Beginn der militärischen Aggression Russlands gegen die Ukraine im Jahr 2014 stets drohte. Wie sieht die ukrainische Landschaft in Zeiten des Krieges aus? False Sky entstand 2017 in der für den Künstler typischen Technik – Öl auf Teppich mit hinzugefügtem Text; der dunkle und löchrige Himmel ist bereits von einem Gefühl der Bedrohung erfüllt, das mittlerweile alle Ukrainerinnen und Ukrainer kennen. Seit Februar 2022 konzentriert sich (*1984, Kiew), der sonst in verschiedenen Medien arbeitet, auf die Ölmalerei. Seine Werke Immune und Safe Place (beide 2022) sind Darstellungen realer Kriegssituationen, die er um kurze Texte ergänzt. Das Zusammenspiel aus Text und Bild verbindet konkrete mit metaphorischen Bedeutungsebenen.
Die Installation Mickey Mouse’s Steppe. Archives (2023) von (*1990, Charkiw) und (*1993, Charkiw) hat historische Fotografien von Panzern aus dem Zweiten Weltkrieg zur Grundlage und nähert sich darin der europäischen Geschichte an. Der spielerische Titel geht auf einen Spitznamen zurück, den deutsche Militärs den sowjetischen Panzern im Zweiten Weltkrieg gaben: Für sie sahen die geöffneten Luken der Panzer aus wie die Ohren der berühmten Disney-Figur. Das Projekt zeigt zudem Archivfotos, die nach dem ersten Weltkrieg entstanden sind und darauf verweisen, dass sich die weltweit höchste Dichte an zerstörten Panzern auf dem Gebiet der Ukraine (innerhalb ihrer Grenzen von 1991) nachweisen lässt.

Denys Salivanov, Safe Place, 2022, Öl auf Leinwand, MOCA NGO Сollection © Denys Salivanov

Denys Salivanov, Safe Place, 2022, Öl auf Leinwand, MOCA NGO Сollection © Denys Salivanov

Die Präsentation entsteht in Zusammenarbeit mit der ukrainischen Plattform Past / Future / Art, die seit 2019 künstlerische Forschungs- und Gedenkprojekte realisiert, um ein größeres Publikum an der Aufarbeitung der Vergangenheit des Landes teilhaben zu lassen. Das Ausstellungsprojekt wurde von Kateryna Semenyuk, Mitbegründerin der Plattform, während ihres Stipendiums im Kunstmuseum Stuttgart im Herbst 2022 entwickelt. Ihr Aufenthalt in Stuttgart war Teil des vom ifa – Institut für Auslandsbeziehungen organisierten CrossCulture-Programms.
11. März bis 23. Juli 2023

www.kunstmuseum-stuttgart.de