2025 steht Wien im Zeichen des Komponisten Johann Strauss, der seinen 200. Geburtstag gefeiert hätte: Festivalleiter Roland Geyer über das Popstar-Image des Operettenkönigs, welche Mythen es um ihn gab, wie er Klimaklebern gegenüberstehen würde – und welche künstlerischen Entdeckungen man beim Strauss-Jahr machen kann.  

SIMsKultur: Johann Strauss war ein Popstar, der die Massen anlockte. Was war an seiner Musik so faszinierend?
Roland Geyer: Ihm ist eine Quadratur des Kreises gelungen, von der viele Komponisten bis heute träumen: Seine Musik erreicht direkt die Herzen der Menschen und ist gleichzeitig von so hoher technischer Qualität, dass seine „seriösen“ Kollegen wie Richard Wagner, Anton Bruckner oder Johannes Brahms allergrößten Respekt vor Strauss‘ kompositorischen Fähigkeiten hatten.

Und wie war er als Person?
Er setzte seine attraktive und elegante Erscheinung – wie heutige Stars – ganz gezielt ein. Es muss ein elektrisierender Anblick gewesen sein, ihn von der Geige aus sein Orchester geradezu tänzerisch dirigieren zu sehen. Er wurde romantisierend als „dämonischer Teufelsgeiger“ beschrieben. Für die Momente seines Auftritts entführte dieser Zauberer sein Publikum in einen irdischen Himmel des Glücks. Körper und Seele wurden eins im Rausch des Tanzes, in dem man Zeit und Realität kurz vergessen konnte.

Ursprünglich war er für eine Beamtenlaufbahn vorgesehen. Warum ist er trotzdem bei der Musik gelandet?
Man vergisst oft, dass sein Vater, ebenfalls Johann Strauss mit Namen, bereits eine große Karriere mit seinen hervorragenden Tanzkompositionen gemacht hatte. Als junger Mann hatte Strauss (Vater) zunächst Buchbinderei gelernt, aber sein Drang zur Musik war größer, er musste sich mit Disziplin ohne Rücksicht auf Verluste hocharbeiten. Er bezahlte den Ruhm aber mit einer ruinierten Gesundheit und frühem Tod. Seinen Kindern wollte er dieses anstrengende Leben ersparen, er wünschte, dass sie bürgerliche Berufe lernen sollten und schickte seine drei Buben aufs Gymnasium.

Warum hat das nicht geklappt?
Er hatte nicht mit seiner eigenen Wirkung und mit der Kraft des vererbten Talents gerechnet. Die Söhne, zunächst die beiden ältesten Johann und Josef, verehrten ihren Vater, waren fasziniert von seiner Musik. Vor allem Johann spürte in sich die gleiche Begabung. Für ihn gab es keinen anderen Lebensweg als den, dem Vater nachzueifern. Johann nahm heimlich Geigenunterricht. Als der Vater ihn einmal beim Üben erwischte, gab es ein fürchterliches Donnerwetter.

Roland Geyer © Herwig Prammer

Roland Geyer © Herwig Prammer

Angeblich hat er mit sechs Jahren seinen ersten Walzer komponiert. Was ist Mythos, was Realität?
Komponieren erlebte der kleine Johann als alltägliche, normale Tätigkeit. Im Sommerhaus in Salmannsdorf soll er seinen ersten Walzer komponiert haben. Mutter Anna hat die Melodie aufgeschrieben. Es ist ein kleines, bezauberndes Fragment. Eigentlich gibt es recht wenige Mythen um Johann Strauss. In der Tat hat er niemals getanzt, obwohl er so wunderbare Tanzmusik geschrieben und angeblich mit dem ganzen Körper dirigiert hat. Aber dieses Einssein mit der Musik hat ihm wohl gereicht. Er war ein ausgesprochen attraktiver Mann, galt als Womanizer, aber bei genauem Hinsehen gibt es nicht viele gesicherte Liebesabenteuer. Man kann davon ausgehen, dass er seine Energie hauptsächlich in seine Arbeit investierte.

Hatte er Schrullen?
Er wollte nicht bergauf gehen, war menschenscheu, hasste Reisen und vertrug Eisenbahnfahren ohne Champagnerzufuhr nicht. Entspannung bot ihm das Tarock- oder das Billard-Spiel mit vertrauten Freunden, bei dem er gerne mal mogelte. Legendär ist seine Kreativität: Walzermotive flogen ihm zu, ohne dass er sie aus sich heraus quälen musste. Überall kritzelte er seine Einfälle hin. Servietten, Manschetten, Bettlaken – alles musste im Notfall eines überraschenden Einfalls als Manuskriptunterlage herhalten. Er war – darin Mozart ähnlich – ganz Musik.

Er zeigte Sympathie für die damalige Aufstandsbewegung. Würde er heute Klimakleber unterstützen?
Während der 1848er-Revolution stand er zunächst auf der Seite der revolutionären Studentenschaft, das waren seine Altersgenossen, die die Träume seiner Generation zu verwirklichen versuchten. Aber er war kein mutiger Mensch und Gewalt war ihm zutiefst zuwider. Man muss dabei bedenken, dass Johann zu dieser Zeit auch der Ernährer einer vielköpfigen Familie war. Er konnte es sich nicht leisten, aufgrund politischer Umtriebe festgenommen zu werden. So passte er sich nach dem Sieg der Konservativen kaiserlichen Truppen den Verhältnissen an und blieb zeit seines Lebens ein treuer Untertan seines Kaisers Franz Joseph. Insgesamt lag ihm jeglicher Extremismus fern, außer es ging um seine Kunst. Daher gehe ich davon aus, dass er sich jeglichen Kommentars zu den Klimaklebern enthalten würde, aber in seinem Garten keine chemischen Dünger verwenden und eine Photovoltaikanlage auf seinem Dach installieren würde – ohne all das an die große Glocke zu hängen.

Im Johann-Strauss-Jahr sind 60 Produktionen an 30 Locations in Wien zu sehen. Nach welchen Kriterien wurde ausgewählt?
Uns ist wichtig, in thematisch, künstlerisch und geografisch stadtumspannender Bandbreite verschiedenste Publikumsgruppen zu erreichen und zu erfreuen. Mit 40 großen und kleineren Partnerinstitutionen wird eine Fülle an Veranstaltungen angeboten, die sich in 10 verschiedene Genres auffächern: Operette, Schauspiel, Performance, klassische und Nonclassic Konzerte, Film, Zirkus, Tanz, Wissenschaft, Kunstinstallation und Ausstellung. Neben Konzerten mit den großen Wiener Orchestern stellen wir zeitgenössische Experimente lebender Künstler ebenso vor wie eine Komposition einer KI in Zusammenarbeit mit Ars Electronica Linz.

Was ist der Fledermaustag?
Wir werden seine berühmteste Operette zum 151. Jubiläum einen ganzen Tag lang feiern. Dafür erobern die Fledermäuse das Museumsquartier. Tagsüber gibt es Familienprogramme, wo sich Kinder mit der Musik von Strauss und den Tieren auseinandersetzen können. Abends kann man eine sehr spezielle Version der Operette mit den Janoska Ensemble und Daniela Fally erleben. Und wir konnten den bekannten Ökologen und DJ Dominik Eulberg gewinnen, eine Biodiversitätsshow ber Fledermäuse zu entwickeln und dann noch in seiner Eigenschaft als DJ eine Tanzveranstaltung zu gestalten.

Wie kam es zur Neufassung der Operette „Der Zigeunerbaron”?
„Der Zigeunerbaron” ist eine der besten Partituren von Johann Strauss, die Musik ist großartig. Aber inhaltlich ist es schwierig: Nicht nur der Titel ist problematisch, das Stück tendiert leider zu naiver Kriegsverherrlichung, der Befestigung einer rückwärtsgewandten patriarchalischen Gesellschaftsordnung, die 1885 schon gestrig war, und ungebrochenen Kitschmomenten in eine konservative Richtung, die sonst in Strauss Werken nicht so präsent ist. In einer aktuellen Inszenierung muss man sich mit diesen Elementen kritisch auseinandersetzen. Wir konnten mit Roland Schimmelpfennig dafür einen der besten lebenden Theaterautoren gewinnen. Inhaltlich bleibt die Geschichte erhalten, aber Schimmelpfennig hat sie wunderbar aktualisiert und eine – wie ich finde – sehr intelligente Möglichkeit zur produktiven wie unterhaltsamen Auseinandersetzung geschaffen.

War es ein Anliegen, auch unbekannte Operetten neu zu interpretieren?
Unbedingt. Ein Jubiläumsjahr ist immer Gelegenheit, ein Werk genauer zu erforschen und Vergessenes auf den Prüfstand zu stellen. Um nur ein Beispiel zu nennen: Das immersive Theaterensemble Nesterval wird sich mit der völlig vergessenen Fürstin Ninetta an einem ungewöhnlichen Ort auseinandersetzen. Die Raiffeisenbank stellt uns das Dianabad zur Verfügung. Aber das Schwimmbad wird kein Wasser beinhalten, Nesterval wird die Räumlichkeit künstlerisch ausgestalten.

Im Rahmen des Festivals werden auch Liebesbriefe an die russische Aristokratin Olga Smirnitskaja präsentiert. Wie war Strauss als Liebesbriefschreiber?
Olga komponierte selbst und war daher für Strauss eine inspirierende Gesprächspartnerin. Mit ihr konnte er auf Augenhöhe über seine Arbeit reden. Zudem war sie schön, elegant und hatte Humor. Als Briefschreiber pflegte er eigentlich eine direkte Art. In den Briefen an Olga aber zeigte er seine poetisch-schwärmerische Seite, gab sich als romantischer Liebhaber. Beide wollten heiraten, aber die Familien waren dagegen. Die adligen Eltern von Olga hielten den Komponisten für nicht standesgemäß. Strauss‘ Mutter hingegen glaubte, dass das adlige Pflänzchen den Erfordernissen einer Komponistengattin nicht standhalten könnte und sie nicht in die eher bodenständige Strauss-Familie passen würde.

Von Stefanie Sargnagel ist die Reportage „Walzer, Wein und Wohlstandsbauch“ im Rabenhof zu sehen.
Wir sind von Stefanie Sargnagels Arbeit begeistert und fanden, dass ein kabarettistischer Blick geradezu zwingend ist. Johann Strauss hat mit seiner Tanzmusik ja die Wiener Ballkultur maßgeblich beeinflusst, das ist vor allem ein gesellschaftlich-soziales Phänomen. Wenn jemand wie Sargnagel über die heutige Ballkultur reflektiert, kommt bestimmt etwas treffend Brillantes heraus.

Welche Seiten haben Sie neu entdeckt an ihm?
Johann Strauss hat eher ein nostalgisches Image. Aber wenn man sich mit seiner Biografie befasst, erschließt sich seine große Bedeutung als Vermittler der damaligen Avantgarde-Musik: So hat er zum ersten Mal mit seinem Orchester in Wien Musik von Richard Wagner präsentiert. Er war der Erste, der in Pawlowsk bei St. Petersburg eine Komposition eines jungen unbekannten Künstlers namens Peter Tschaikowski öffentlich aufführte. Kaum war eine Oper eines namhaften Komponisten neu auf der Bühne erschienen, konnte das Publikum die Melodien bereits bei Strauss-Konzerten hören. Er arbeitete bis zur Erschöpfung und erlitt mehrfach Zusammenbrüche, die man heute Burn-Out nennen würde. Er wollte die Menschen mit seiner Musik spontan glücklich machen. Diese Lebensfreude, die in seinen Werken immer mitschwingt, wollen wir vermitteln und möglichst weit verbreiten.
Interview: Karin Cerny
1. Januar bis 31. Dezember 2025

www.johannstrauss2025.at