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Der Zug nimmt Fahrt auf im 19. Jahrhundert, die Technik frisst sich in immer mehr Bereiche des Alltags hinein – und die Komponisten? Sie entdecken eine neue Mechanik der Gefühle. Nicht nur die Orchester werden größer, sondern auch die Stimmen: Pietro Mascagnis Verismus nimmt den Filmschnitt vorweg, während wir bei Wagner das Gegenteil vorfinden. Sein unendlicher Strom erfasst Helden wie Harmonien, löst Arien auf und ist voller Leitmotive, die das Unbewussten zum Sprechen bringen, lange bevor die Psychologie es tut. Mit Thomas Hengelbrock, Teodor Currentzis und Antonello Manacorda kommen Dirigenten zu den Herbstfestspielen, die für ihre Kompromisslosigkeit bekannt wurden.

Cavalleria Rusticana
Dass ein deutscher Dirigent, der in Paris lebt, eine sizilianische Oper aufführt, lohnt einen knappen kulturhistorischen Abriss. Mascagnis „Cavalleria Rusticana“ markiert den Beginn der veristischen Oper, die sich nicht scheut, den Vorhang für Bauern, Prostituierte und Kleinbürger zu heben, für kleine Weinhändler, die von einem Rausch zum nächsten leben. So weit die Theorie, der man aus Pariser Perspektive mit Verweis auf „Carmen“ sofort widerspricht. Überhaupt steckt die „Cavalleria“ voller pikanter französischer Harmonien, die ihrerseits Wagners „Tristan“-Kühnheiten ins eigene Idiom übersetzten. Eine unwiderstehliche Mischung: Keine Oper war zu ihrer Zeit erfolgreicher. Und heute? Was wohl noch unter Hengelbrocks Röntgenblick zum Vorschein tritt? Freuen wir uns darauf!
11. und 13. November 2022

Symphonie fantastique
Noch Wagner wird geheimnisvolle Zaubertränke brauen, ganz nach Art der schwarzen Romantik, die Gift, Gespenst und Genuss verspricht. Das Pendel schlug um nach 1800, dem Engel der Vernunft folgte der Teufel der Wünsche. Unvergessen die Teufelsabbildungen des Dichters und Malers William Blake oder die Edgar-Allen-Poe-Übersetzungen von Charles Baudelaire. Carl Maria von Weber nahm die Wolfsschlucht bei Baden-Baden für seine Teufelsszene im „Freischütz“ zum Vorbild und Hector Berlioz, der große Weber- wie Baden-Baden-Freund, verfrachtete den Teufel in seine „Symphonie fantastique“. Dem Höllenfürsten gehört ihr Finale mit Glocken, schwarzer Messe und Hexentanz. Ein Pariser Walzer, wie er damals auch an der Oos in Mode kam, begegnet uns im zweiten Satz. Die lyrische Hauptmelodie, musikalisches Abbild der unerreichbaren Geliebten, übernahm der Komponist aus seiner Kantate „Herminie“. Ein Netz aus Bezügen, in das man sich fallen lassen darf, gespannt über Abgründen, die dem Alltag Würze geben.
12. November 2022

Tristan und Isolde
Darf man mit der modischen Erscheinung eines Dirigenten beginnen? Hier sollte man es. Das Schwarz, in das sich Teodor Currentzis kleidet, lässt sich kulturhistorisch auf die Nacht zurückführen, die in „Tristan“ positiv aufgeladen wird, als Gegensatz zum Tag mit seinen Lügen und Konventionen. Kulturhistorisch haben wir hier eine Abkehr vom Sehen und die Hinwendung zum Berühren. Die Wende begann mit der Romantik – und hier wurzelt auch Teodor Currentzis´ Auffassung von Kunst. Statt Betrachtung sucht er die Hingabe. Und weil in Currentzis’ Fall das Äußere von den künstlerischen Ergebnissen im höchsten Maße beglaubigt wird, haben auch wir von der Erscheinung auf das Wesen geschlossen und erwarten nun eine Aufführung wie nicht von dieser Welt.
17. und 20. November 2022

Teodor Currentzis
Eine „Carte blanche“, also die Freiheit, die Werkliste erst nach Druckschluss des Jahresprogramms festzulegen, ist ein Privileg, das wir leider nicht jedem Künstler zubilligen können. Bei Teodor Currentzis lassen wir uns darauf ein – in dem Wissen, dass dieser Künstler gegen jede Musealisierung der Musik anspielt und Spontanität einfordert, selbst wenn das einen schweren Dampfer wie das Festspielhaus an seine Grenzen bringt. Folgen Sie uns also ins unbekannte Gewässer! Denn die Ergebnisse sprechen für sich. Wir erwarten einen Konzertabend, der in typischer Currentzis-Manier außerordentlich zu werden verspricht.
19. November 2022

www.festspielhaus.de