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Neben Elisabeth Leonskajas Beethoven-Hommage „Für Ludwig“ stellen die Musiktage Mondsee heuer Béla Bartók ins Zentrum ihres Programms. 

In Unternehmen wie in der deutschen Politik liegen Leitungsteams im Trend. Kammermusik war schon immer Teamsache, und bei den Musiktagen Mondsee gibt seit 2010 ein Quartett den Ton an: das ­Auryn Quartett. Für 2022 allerdings haben die Musiker ihren geordneten Rückzug angekündigt.
Bis dahin lädt das wunderbare Streichquartett wie bisher im Spätsommer mit klug konzipierten Programmen zum konzentrierten Kammermusikererlebnis ins barocke ehemalige Kloster am Mondsee.
Wie jedes Jahr stellen die Musiktage auch heuer einen Komponisten in den Mittelpunkt und spüren in mehreren Konzerten seinen Wurzeln in der Tradition und seinen Nachwirkungen und Einflüssen auf die Musik bis zur Gegenwart nach. Verglichen mit Schwerpunkten wie Beethoven, Schubert oder Bach in den letzten Jahren ist das diesmal ein – nein, kein Unbekannter, doch ein im Grunde wenig Gekannter: Béla Bartók. „Musik in Zeiten des Umbruchs“ betitelt das Auryn Quartett den diesjährigen Fokus und eröffnet mit diesem Motto wachen Zeitgenossen allerlei Implikationen

Epoche der Umbrüche
Ähnlich wie Schönberg und Strawinsky ­reagierte auch Bartók in seinem Werk auf die radikalen politischen und gesellschaftlichen Umbrüche des 20. Jahrhunderts. Um 1900, als – noch überstrahlt von schwelgerischer Spätromantik – die Kaiserreiche schon bröckeln und die gesellschaftlichen Konflikte noch im Untergrund gären, die sich – von Künstlern auf ihrer tastenden ­Suche nach dem Neuen antizipiert – im Ersten Weltkrieg mit verheerender Zerstörungskraft Bahn brechen. Von dort über den Zusammenbruch der alten Imperien, die Entwurzelung der Indi­viduen in der Maschinerie der Großstädte über den unheilvollen Sog menschenfeindlicher Ideologien bis zu den Massenverbrechen des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs, die Tausende Menschen, darunter Künstler wie Korngold und Eisler, zur Flucht und ins Exil zwangen, reicht die Lebensspanne Bartóks. Auch er ging angesichts des Faschismus in die USA, es war „der Sprung ins Ungewisse aus dem gewussten Unerträglichen“, doch wie andere Exilanten machte auch ihn der Verlust der Heimat unglücklich. An Leukämie erkrankt, verarmt, zeitweise verstummt, litt er, ehe er kurz vor seinem Tod noch einmal zu komponieren begann und mit dem Konzert für Orchester und dem 3. Klavierkonzert noch bedeutende Werke schuf.

Ungarn in Europa
Mit Bartók kommt auch ein Stück Ungarn an den Mondsee, dieses besondere Land im Südosten Europas mit all seinen Widersprüchen, mit seiner komplizierten, nicht indoeuropäischen Sprache, seiner Kultur und seiner Musik. Schon der im Dienst des Fürsten Eszterházy stehende (mithin lange Zeit auf ungarischem Territorium wirkende) Joseph Haydn griff ungarische Musik auf, die dann im 19. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum als reizvoll exotisch wahrgenommen und zur Inspirationsquelle für Musiker wie Brahms (ganz zu schweigen vom Operetten-Ungarn eines Lehár) wurde. Béla Bartók sammelte und erforschte die echte ungarische Volksmusik, anfänglich durchaus von nationalistischer Leidenschaft beseelt, die ihn auch sein Werk auf den ungarischen Nationalhelden Kossuth komponieren ließ; mit Ausweitung seiner Forschungen auf den Balkan, nach Russland und bis nach Nordafrika entdeckte Bartók die vielfältigen Verflechtungen mit anderen Musiktraditionen. Béla Bartóks Heimatstadt ist heute rumänisch, der Ort, an dem er seine Jugend verbrachte, ukrai­nisch; mag sein, dass die wiederkehrende Neigung zum Nationalen, die sich im heutigen Europa wieder unselig beobachten lässt, in Ungarn der speziellen Geschichte geschuldet ist, die mit brutalen Teilungen gewachsene Bindungen zerstört hat.

Von der „Bauernmusik“ zur Moderne
Bartók stammte aus einfachen Verhältnissen und wurde von seiner früh verwitweten Mutter am Klavier unterrichtet; er besaß das absolute Gehör und erwies sich schon im Kindesalter als hochbegabt. Als ausgezeichneter Pianist sollte er eigentlich wie sein in ganz Europa berühmter Landsmann eine Virtuosenlaufbahn einschlagen. Doch eine Karriere wie jene Franz Liszts hätte Bartóks Persönlichkeit – scheu, eher introvertiert und von skrupulösen Moralbegriffen – ihm wohl nicht leicht gemacht; stattdessen erhielt er ­einen Ruf an die von Liszt gegründete Musikhochschule in Budapest, wo er mit seinem jüngeren Kollegen und Freund Zoltán Kodály als Musikethnologe die „Bauernmusik“ erforschen konnte, nicht unähnlich dem eine Generation älteren Leoš Janáček, der ohne universitäre Struktur den mährischen Volksliedern nachspürte.
Sowohl motivisch als auch rhythmisch (etwa in häufigen Synkopen und ungeraden Rhythmen) und harmonisch schlagen sich in Bartóks Kompositionen die Besonderheiten ungarischer Musik, wie Pentatonik oder Kirchentonarten, nieder, doch Bartók komponierte keineswegs folkloristisch, sondern suchte die Moderne. Er kannte Zwölftonmusik, schätzte sie aber nicht, sondern entwickelte seine eigene Sprache, von der man gern mehr in den Konzertsälen hören würde. Eben erst brachte die Bayerische Staatsoper in ­einem fulminanten Musiktheaterabend Bartóks einzige Oper, Herzog Blaubarts Burg, von 1921 in Kombination mit seinem späten, im amerikanischen Exil komponierten Konzert für Orchester heraus.
Vielleicht bricht ja Bartóks große Zeit gerade erst an, so, wie auch Janáček erst über 60 Jahre nach seinem Tod  Eingang ins Opernrepertoire fand.
Bartóks sechs Streichquartette gelten als der Quartettzyklus der Moderne, instrumental wie musikalisch eine Herausforderung. Drei dieser Quartette erklingen in Mondsee: Das 2. Quartett, 1915 bis 1917 unter Verwendung „imaginärer“ Volks­musikthemen komponiert, die von seinen Forschungen inspiriert waren, ist expressionistisch mit nachromantischen Zügen; Kodály paraphrasierte die Sätze als Ruhiges Leben, Freude und Leid.
Das 5. Quartett nimmt Bartóks Orientierung nach Ame­rika vorweg; komponiert im Auftrag der amerikanischen Musik­mäzenin Elizabeth Sprague Coolidge, wurde es vom Kolisch Quartett, dem bedeutenden Exilensemble, das aus Schönbergs „Verein für musikalische Privataufführungen“ hervorge­gangen ist, in New York uraufgeführt. Das 6. Streichquartett von 1939 ist zugleich das letzte Werk, das Bartók vor seiner Emigration in die USA in Europa komponierte; mit grotesken wie tieftraurigen Zügen lässt es sich als Werk des Abschieds – von der sterbenden Mutter, von Europa – hören.
28. August bis 5. September 2020

www.musiktage-mondsee.at