Die Gmünder Stadtturmausstellung präsentiert die Vielfältigkeit des grafischen Oeuvres von Marc Chagall: Neben Blättern aus allen großen Mappenwerken – den Bibelillustrationen, Daphnis et Chloé, Der Zirkus, Les ames mortes und Poèmes – demonstrieren einzelne ausgewählte lithografische Meisterblätter und illustrierte Bücher neben ergänzenden Unikaten eindrucksvoll den poetischen künstlerischen Kosmos Marc Chagalls und führen eine entrückte, fantasievolle Welt vor Augen, die tief berührt und dennoch geheimnisvoll bleibt.

Marc Chagall (1887–1985) zählt zu den bedeutendsten Einzelgängern der Kunst des 20. Jahrhunderts. Mit seinem einzigartigen Bilderkosmos und seiner unverkennbaren Farbigkeit hat Chagall ein höchst individuelles Lebenswerk geschaffen. Seine atemberaubende und von vielen Umbrüchen und Neuanfängen geprägte Biografie erstreckt sich von einer Jugend im belarussischen Witebsk über viele Lehr- und Schaffensjahre in Paris, eine aufregende Flucht in die Emigration in den Vereinigten Staaten bis hin zu einem erfüllten und von höchster künstlerischer Produktivität gekennzeichneten Lebensabend im Süden Frankreichs.

Marc Chagall, 2 Blätter aus dem Mappenwerk „Le Cirque“, 1967, Lithografien. | © Bildrecht, Wien 2024.

Marc Chagall, 2 Blätter aus dem Mappenwerk „Le Cirque“, 1967, Lithografien. | © Bildrecht, Wien 2024.

Erstmals im Süden Österreichs gibt die Ausstellung Einblicke in das farbgewaltige, reiche druckgrafische Schaffen Chagalls aus einer umfassenden deutschen Privatsammlung: Rund 80 leuchtende Papierarbeiten Chagalls demonstrieren eindrucksvoll seine poetische und optimistische Bildwelt, die inspiriert ist von der jüdisch-weißrussischen Heimat des Künstlers, von Geschichten aus der Bibel und wortgewaltiger Literatur der griechischen Antike. Ergänzt wird die Ausstellung durch eindrucksvolle Porträtfotografien des Künstlerfotografen Edward Quinn, der Chagall in seiner späten Wahlheimat Saint-Paul-de-Vence im Süden Frankreichs mehrfach sowohl bei offiziellen Anlässen als auch bei privaten Besuchen in der Intimität seines Privathauses ablichtete.

Edward Quinn, Marc Chagall bei der Eröffnung der Fondation Maeght in Saint-Paul-de-Vence, 1964. Links im Hintergrund das Werk L’Echo (1960) von Georges Braque. | Photo Edward Quinn, © edwardquinn.com

Marc Chagall bei der Eröffnung der Fondation Maeght in Saint-Paul-de-Vence, 1964, Links im Hintergrund das Werk L’Echo (1960) von Georges Braque, Photo Edward Quinn © edwardquinn.com

Die Gesetze der Schwerkraft scheinen in Chagalls Werk außer Kraft gesetzt zu sein. Zu seinen unverkennbaren Gestaltungsmitteln zählen das Neben-, Mit- und Übereinander von Kleinem und Großem, das anatomisch Unmögliche, das geradezu selbstverständliche Stehen auf dem Kopf. Raum und Zeit scheinen aufgehoben, dem Künstler geht es um die Seele, um die Darstellung geistiger und spiritueller Zustände. Die Farbgebung folgt diesem Gedanken und entspricht oft mehr einer inneren Farbordnung denn der Realität. Chagalls charakteristische Bildwelten definieren sich nicht zuletzt durch diese strahlende, lebhafte und zutiefst individuelle Farbigkeit. Marc Chagall war Maler und Zeichner, Keramiker und Bildhauer, er gestaltete Glasfenster, Deckenbemalungen und Mosaike und hinterließ zudem ein bedeutendes druckgrafisches Gesamtwerk, das nahezu 1100 Lithografien, rund 120 Radierungen und die beachtliche Zahl von 114 illustrierten Büchern und Mappenwerken umfasst und ihn damit zu den produktivsten Kunstschaffenden des 20. Jahrhunderts macht. Alles, was Marc Chagall bewegt hat, seine Herkunft, seine Interessen und seine Lebenserfahrung, finden sich in seinem grafischen Oeuvre wieder, und so bietet die Gmünder Ausstellung auch eine Reise durch das künstlerische Gesamtwerk des großen Einzelgängers der Moderne.
8. Mai bis 29. September 2024
www.künstlerstadt-gmünd.at