Als Kirchner Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Fotografie begann, konnte er bereits auf eine Generation fotografisch geschulter Maler zurückblicken, die in der Lage waren, Manipulationstechniken der Fotografie in ihre Malerei zu integrieren. Als klassisch ausgebildeter Architekt und avantgardistischer Künstler war es für Kirchner schlicht unmöglich, seine Fotografie als rein technische Reproduktionsmöglichkeit unabhängig von der Kunstproduktion einzusetzen. Diese Ausstellung befasst sich nun mit dieser einzigartigen Verflechtung von Malerei und Fotografie im Œuvre des Malers.
Die Erfindung der Fotografie zählt zu den bedeutendsten kulturellen und künstlerischen Ereignissen des 19. Jahrhunderts. In rasantem Tempo entwickelte sich die Fotografie zu einer massentauglichen „Bildmaschine”, die es bald jedem, der es sich leisten konnte, ermöglichte, seine Umwelt festzuhalten. Nicht zuletzt konnte das Abbild von Menschen nun mit beispielloser Leichtigkeit, relativ hoher Geschwindigkeit und Genauigkeit erfasst werden. Durch diesen Wandel verlor die Malerei ihren Hoheitsanspruch als Dokumentationsmedium und führte letztendlich zu einem neuen (Selbst-)Verständnis dieser Kunstform. Viele Künstler, wie Alfons Mucha, André Derain oder Edgar Degas, wandten sich früh der Fotografie und ihren Möglichkeiten zu, sowohl als Vorlage und Inspiration als auch als eigenständiges künstlerisches Medium.
Doch nur wenige expressionistische Künstler befassten sich ernsthaft und langfristig mit der Fotografie, neben Gabriele Münter vor allem Ernst Ludwig Kirchner. Bereits im Jahr 1909 entstehen in Dresden seine ersten Aufnahmen. Er dokumentiert seine Aufenthalte auf Fehmarn ebenso wie seine Berliner Ateliers und setzt sich während seiner gesamten Zeit in der Schweiz intensiv mit diesem Medium auseinander. Kirchner hinterlässt schließlich etwa 1300 Glas- und Zellulose-Negative, Vintage-Prints sowie fünf gebundene Fotoalben mit 900 Aufnahmen seiner Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen und Druckgrafiken, einschließlich Installationsfotos von Ausstellungen. Der Großteil dieser Objekte befindet sich heute in der Sammlung des Kirchner Museum Davos.
bis 5. Januar 2025