Das Knauf-Museum Iphofen präsentiert ab Sonntag, den 30. März 2025 die Sonderausstellung „Stocktanz – Spazierstöcke aus drei Jahrhunderten“. War der Stock seit jeher ein Werkzeug für den Menschen gewesen, verändert sich im 18. Jahrhundert seine Rolle. Er wird zum modischen Accessoire, mehr noch zum Statussymbol der Aristokratie als Spazierstock. Damit stehen der kunsthandwerklichen Gestaltung alle Türen offen. Neben der alltäglichen Ware entstehen bemerkenswerte Spazierstöcke aus Holz, mit Silbergriff oder als raffiniertes System mit verborgenen extravaganten Funktionen wie etwa ein Geigen-Stock oder der Antike Spazierstock mit Fernrohr. „Stocktanz“ stellt eine exquisite Auswahl aus der umfangreichen Sammlung Dennerlein vor. Edle Hölzer, Silber, Gold, Edelsteine, Elfenbein oder auch Koralle zeigten den Reichtum des Besitzers oder Auftraggebers eines Spazierstockes. Materialien und Design erzählen aber ebenso Geschichten über die Herstellung und den historischen Hintergrund, vor dem die Stöcke entstanden.

Flanierstock mit besetztem Kappengriff aus böhmischen Granaten, Österreich-Ungarn, um 1870/80, Gesamtlänge: 91 cm, Knauf: L. 7,4 cm, Sammlung Dennerlein, Foto: Benedikt Feser
Ein Statussymbol im Wechsel der Jahrhunderte
Im 18. Jahrhundert begann die Reise des Spazierstocks als zentrales Statussymbol der Aristokratie für das Promenieren. Mit aufwendigen Verzierungen und aus edlen Materialien gefertigt spiegelten sie Stand und modischen Geschmack ihres adeligen Besitzers wider. Ihre Blütezeit erlebten die Spazierstöcke im 19. Jahrhundert, als sie mit dem Aufstieg des Bürgertums auch zu dessen unverzichtbarem Begleiter avancierten. Die damit einhergehende Industrialisierung ermöglichte die Massenproduktion der Stöcke, wodurch sie für eine breitere Bevölkerungsschicht zugänglich wurden. Der sonntägliche Spaziergang wurde um 1850 auch bei Handwerkern und Arbeitern populär, der Spazierstock essentieller Teil der Alltagskleidung auf den Straßen. Die dekorativen Zwecke treten im Fin de Siècle in den Vordergrund. Erst in den 1930er Jahren verloren die Spazierstöcke wieder an Bedeutung. Doch die Werke aus den vergangenen drei Jahrhunderten entwickelten sich bald zu einem beliebten und oft sehr hochwertigen Sammlerstück. In Manufakturen werden Spazierstöcke bis heute nach individuellen Vorgaben gefertigt.

Exklusiver Flanierstock mit Mohnblütenmotiven und eingelegtem Korallencabochon, Frankreich Art Nouveau um 1900, Gesamtlänge: 99 cm, Griffhöhe: 8,2 cm, Sammlung Dennerlein, Foto: Benedikt Feser
Der Spazierstock zwischen Hilfsmittel, Design und Spezialfunktion
Der Griff als oberer Abschluss des Spazierstocks dient zuerst als Handstütze, die für einen Spazierstock aufwendiger gestaltet sein kann als bei einem Stock, der nur seine Funktion als Gehhilfe erfüllen soll. Der Schaft bzw. „Schuss“ kann dünner sein, die dekorativen Elemente ausgefeilter. Von Knauf über Doppelkrücke bis Figurengriff reicht die Vielfalt, in der Ausgestaltung waren bei den Einzelstücken Tierköpfe, Frauen- und Männerköpfe bzw. -körper oder zeittypische Ornamente stilangebend. War Holz das gängigste Material, reichte das Spektrum bei den Griffen von Elfenbein und anderen Beinarten über Knochen, Geweihe und Hörner sowie Perlmutt auf Holzkern bis zu Porzellan, Glas, Emaille, Bernstein, Edelsteinen oder Edelmetallen. So zeigt ein sowohl als Stock- wie als Schirmgriff verwendetes Jugendstil-Element aus Paris um 1900 einen Mädchenkopf aus Silber mit einer nach hinten schweifender Kopfbedeckung als Handhabe, ganz im Zeichen der Art Nouveau verziert mit einem Mistelzweig und weißen Beeren in Plique-à-jour-Emaille. Aus der Porzellanmanufaktur Nymphenburg stammt eine zierliche Frauenbüste im Stil der Commedia dell’Arte, die sich ihrem Besitzer zudreht, eine Rose im Haar; das Original stammt vom Franz Anton Bustelli, der als einer der bedeutendsten Porzellankünstler des Rokoko galt, und wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts mehrmals neu als Knauf aufgelegt.

Italienische Frauenbüste aus Porzellan, mit Rose im Haar, Deutschland, 20. Jh., Gesamtlänge: 98 cm, Stockknauf: H. 8 cm, Sammlung Dennerlein, Foto: Benedikt Feser
Eine eigene Kategorie bilden Spazierstöcke mit Spezialfunktionen, sogenannte Systemstöcke. Vorwiegend in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden verschiedenste Dinge in die Stöcke eingearbeitet wie Fernrohr, Sextant, Döschen, Musikinstrumente und viele andere mehr. Aus einer Wiener Werkstätte stammt etwa die in den Stock integrierte Geige mit schlankem Resonanzkörper samt Bogen im Schuss, die tatsächlich spielbar ist. Um 1900 wurde der Spazierstock im Dienste der Fotografie sogar zum Stativ für moderne Aufnahmen außerhalb des Ateliers in der Natur, indem sich statt des Knaufs eine Kamera aufschrauben ließ und der Schuss in drei Stativbeine aufklappte.
30. März bis 6. Juli 2025

Spazierstock mit System, integriertes Fotostativ, Deutschland, um 1900, Gesamtlänge: 94,5 cm, Durchmesser: 4,5 cm, Spitze: 7 cm, Sammlung Dennerlein, Foto: Benedikt Feser
Das Knauf-Museum Iphofen
Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts begann der Gips-Fabrikant und Kunstmäzen Dr. Alfons N. Knauf mit dem Umbau eines prächtigen Iphöfer Barockbaus von 1688 zu einem privaten Museum. Dr. Knauf, den die Erforschung der Materie Gips zeitlebens faszinierte, bereiste gemeinsam mit seinem Bruder Karl Knauf zehn Jahre lang die bedeutenden Museen der Welt und trug Gipsabgüsse ihrer exklusivsten Exponate zusammen. Heute präsentiert das Knauf-Museum Iphofen über 200 Repliken der renommierten Museumsstücke aus aller Welt. Seit der Eröffnung am 30. Juni 1983 können Besucher hier Relief-Sammlungen aus den großen Kultur-Epochen der Menschheit bestaunen, die bis ins Jahr 3.500 v. Chr. zurückreichen. Neben der Dauerausstellung entwickelt das Knauf-Museum Iphofen regelmäßig exklusive und einzigartige Sonderausstellungen in Eigenregie. Dabei kooperiert das Museum mit zahlreichen international angesehen Kunstmuseen.
www.knauf-museum.de

Knauf-Museum Iphofen, Foto: Wolf-Dietrich Weissbach