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Benoît Piérons künstlerische Praxis ist durch seine lebenslange Erfahrung mit Krankheit sowie eine Kindheit geprägt, die er größtenteils im Krankenhaus verbrachte. Er beschäftigt sich mit dem medizinischen und gesellschaftlichen Umgang mit kranken Körpern, mit Erfahrungen des Wartens und der Ungewissheit, mit Fürsorge und Intimität. Wenn er etwa in Patchwork-Technik aus recycelten Krankenhauslaken Decken, Kissen oder Stofftiere anfertigt, verwandelt er die standardisierte Ausstattung des Krankenhauses in sinnliche Körper, die, so der Künstler, der Krankheit „Plastizität“ verleihen.

Mit „Monstera deliciosa”, dem Titel seiner ersten musealen Einzelausstellung, bezieht Piéron sich auf eine Pflanze, die heute die Wartezimmer vieler Arztpraxen schmückt, tatsächlich aber aus den Tropen Amerikas stammt und im 19. Jahrhundert als Kolonialgut nach Europa importiert wurde, wo sie ihren Namen erhielt. Monstera leitet sich vermutlich vom lateinischen Begriff für „Monster“ ab, während deliciosa auf die „köstlichen“ Früchte der Pflanze Bezug nimmt. Um das Warten, die Kolonialisierung von Körpern und die Fähigkeit, das Wunderbare im Monströsen zu entdecken, geht es auch in Piérons Ausstellung, die einen Warteraum simuliert, in den die Außenwelt auf poetische Weise eindringt. An den Wänden bewegen sich sanft die Schatten von Blattwerk, so als würde das Licht der Sonne durch das Laub von Bäumen auf die Wand fallen. Die Decke wiederum zeigt einen Wolkenhimmel in Pastellfarben, vergleichbar den illusionistischen Fresken, mit denen Maler die Decken von Kirchen und Palazzi zierten.

Benoît Piéron, Moniqa, 2023, Polymerpaste, individuell angepasste Schneekugel, Figur angefertigt von Marie Dumas / L’Atelier Lyonnais Courtesy Galerie Sultana, Foto: Deinhardstein © mumok

Benoît Piéron, Moniqa, 2023, Polymerpaste, individuell angepasste Schneekugel, Figur angefertigt von Marie Dumas / L’Atelier Lyonnais Courtesy Galerie Sultana, Foto: Deinhardstein © mumok

Es gibt Sitzgelegenheiten und Tischchen, so wie man sie in den Wartebereichen medizinischer Einrichtungen überall auf der Welt findet. Warten hat mit Ohnmacht zu tun. Es bedeutet, der Logik einer anderen Instanz ausgeliefert zu sein, bedeutet, die Zeit „totschlagen“ zu müssen. Warten gilt als unproduktive Zeit, so wie auch die Körper, die in den Wartezimmern verharren, als unproduktiv gelten. Benoît Piéron hat viel Zeit mit Warten und in Wartezimmern verbracht. Ausgehend von seiner eigenen Krankenbiografie ist ihm das Warten gewissermaßen zur zweiten Natur geworden, zu einer Natur allerdings, die nicht von Leere, sondern von Fülle gekennzeichnet ist: von der Fähigkeit zur genauen Beobachtung; von fokussierten Tätigkeiten, die keines großen Aktionsradius bedürfen; von dem Vermögen, im vermeintlich Banalen Wundersames zu entdecken; von der Begabung zu reisen, auch wenn der Körper stillsteht.
26. Oktober 2023 bis 7. Jänner 2024
www.mumok.at

Benoît Piéron, Little Prince, 2022, Ausstellungsansicht Horizones - Fondation Ricard, 2022, Paris, Foto: Aurélien Mole, Courtesy Galerie Sultana © the artist

Benoît Piéron, Little Prince, 2022, Ausstellungsansicht Horizones – Fondation Ricard, 2022, Paris, Foto: Aurélien Mole, Courtesy Galerie Sultana © the artist