Das Thema Wohnen ist das soziale Thema unserer Zeit. Wie und wo wir wohnen hat Einfluss auf unser Wohlbefinden und prägt unser Verhalten und unsere Identität. Seit jeher haben Künstler und Architekten ihre Vorstellungen einer zukünftigen Architektur zunächst zeichnerisch imaginiert. Ausgehend von diesem kulturwissenschaftlichen Ansatz nimmt die Kunsthalle Tübingen die Architekturzeichnung als Kunstform der letzten einhundert Jahre in den Blick.
Anhand von Entwürfen sowie ausgewählten Modellen und Skulpturen aus dem 20. Jahrhundert bis heute wird veranschaulicht, wie der gesellschaftliche und technische Wandel neue Wohnkonzepte und Stadtvisionen von Künstlerinnen und Architektinnen beeinflusste. Denn gerade die Architekten der Moderne wie der Gegenwart denken individuelle Wohnwelten und Lebensräume zunehmend auch in sozialen Kontexten und weiten den Blick – raus aus den eigenen vier Wänden in Richtung kollektiver Lebenszusammenhänge im urbanen Umfeld.

Ausstellungscover zu „Schöner Wohnen“ Amelie Weyers, Hochschule Darmstadt, Fachbereich Architektur 2024
Der Parcours führt von expressionistischen Utopien einer an der Natur orientierten zukünftigen Weltarchitektur über die funktionalistischen und konstruktivistischen Wohn- und Stadtkonzepte der 1920er-Jahre und einer Science-Fiction-Architektur der 1960er-Jahre bis hin zu experimentellen kulturkritischen Anti-Utopien der Nachkriegszeit und der Postmoderne. In der Gegenwart kommt die traditionelle Architekturzeichnung bei der Bauplanung nur noch selten zum Einsatz. Bereits in den 1990er-Jahren hat die computergenerierte Illustrierung den von Hand gezeichneten Entwurf abgelöst und die KI-Entwurfs-Technik bietet Künstlerinnen und Architektinnen neue Möglichkeiten. Zum einen wird das Genre der Architekturzeichnung seit einigen Jahren in der Kunst erneut produktiv gemacht, zum anderen entstehen mit der digitalen Transformation auch hybride Entwurfstechniken, die überraschend neue Architekturansichten hervorbringen.
Nicht zuletzt stellt das Projekt die Frage, wie ein humanes urbanes Leben der Zukunft aussehen kann und präsentiert studentische Entwürfe, die die Vorstellung von einem „guten“ Wohnen existenziell und zeitgemäß reflektieren. Als besonderes Highlight der Schau wird eine Kapsel des Kurokawa Towers des Architekten Kishō Kurokawa zu sehen sein. Nach Abriss des ikonischen Wohn- und Bürogebäudes im Jahr 2022 in Tokio wurde für die Kunsthalle als einzige Institution in Deutschland ein Wohnmodul als Dauerleihgabe angekauft. Die Kapsel wird über die Laufzeit der Ausstellung im Skulpturenhof der Kunsthalle aufgestellt und zugänglich sein.
8. Juni bis 19. Oktober 2025