Dieser Inhalt wurde archiviert. Er ist eventuell nicht mehr relevant.

Überwältigend eindrucksvoll ist das Markgräfliche Opernhaus in all seiner barocken Üppigkeit, mit goldglänzenden Fresken und Gemälden in schillernder Farbenpracht. Weitgehend unbekannt aber auch, im Gegensatz zum Bayreuther Festspielhaus, seinem berühmten Nachbarn. Das hat sich geändert. Im Jahr 2020 bekam es sein eigenes Format: das Festival Bayreuth Baroque.
Im Mittelpunkt von Bayreuth Baroque stehen jene musikalische Formen, denen die Bestimmung des Hauses entspricht: die Opere serie. Mit Leonardo Vincis Gismondo, Re di Polonia und Nicola Porporas Carlo il Calvo holt das Festival zwei in nachbarocker Zeit kaum gespielte Werke auf die Bühne. Die beiden neapolitanischen Komponisten waren zu Lebzeiten keine Unbekannten, vielmehr zwei der bedeutendsten Vertreter ihrer Gattung. Ihre Musik hat das Erscheinungsbild der Oper im 18. Jahrhundert entscheidend geprägt. Die Wiederentdeckung von in Vergessenheit geratener Barockmusik ist dem Countertenor Max Emanuel Cencic ein großes Anliegen. Er ist der künstlerische Leiter des Opernfestivals, dessen Programm auch Konzertgenuss verspricht. 

Als ein erstes Highlight der diesjährigen Ausgabe wird Nicola Porporas Oper „Carlo il Calvo“ mit Vorstellungen am 1., 3. und 5. September wieder aufgenommen. Mit Julia Lezhneva, Franco Fagioli, Max Emanuel Cencic und Bruno de Sá konnte die Welt-Klasse-Besetzung des Vorjahres wieder verpflichtet werden. Die Opernwiederentdeckung in der Inszenierung von Max Emanuel Cencic wurde im vergangenen Jahr europaweit bejubelt und erst kürzlich von den Lesern des französischen Online-Magazins ForumOpéra zur „Besten Neuproduktion des Jahres 2020“ gekürt.

CARLO IL CALVO von Nicola Antonio Porpora
Carlo il Calvo – Karl der Kahle wurde 1738 am führenden Opernhaus Roms, dem Teatro delle Dame, uraufgeführt. Die Besetzung bestand ausschließlich aus Männern und Kastraten. Frauen durften im Kirchenstaat nicht öffentlich auftreten. Porporas Oper basiert auf einem venezianischen Libretto von 1699, das unter verschiedenen Titeln von Komponisten wie Vinaccesi, Keller, Alessandro Scarlatti, Orlandini, Predieri, Fioré, Hurlebusch, Telemann und Vivaldi vertont wurde. Die Partitur hat sich im Konservatorium zu Neapel erhalten.
Die Handlung führt in jene Epoche des frühen Mittelalters, als das Europa Karls des Großen unter den Händen seiner zerstrittenen Erben zerfiel. Ihre Besonderheit besteht darin, dass der Titelheld ein Kind ist. Porpora lässt es im Gegensatz zu seinen Kollegen sogar einige Verse singen. Lothar der Deutsche, sein Stiefbruder, Enkel Karls des Großen, entführt den rechtmäßigen Thronerben, um ihm die Herrschaft zu entreißen. Das gibt Karls Mutter Gelegenheit zu herzzerreißenden Verzweiflungsszenen und atemberaubenden Gefühlsausbrüchen. Den durch falsche Berater zum Bösen verführten Lothar darf Max Emanuel Cencic in pathologische Hysterie treiben. Allein Franco Fagioli hat als edler Ritter Adalgiso das Zeug, dem Tyrannen Einhalt zu gebieten und die gottgewollte Ordnung wiederherzustellen. Dabei gerät der Sohn Lothars in Konflikt mit dem 4. Gebot.
Porpora, der Lehrer Farinellis und Hasses in Neapel, Rivale Händels in London und Arbeitgeber des jungen Haydn in Wien, hat Carlo il Calvo für die besten Sänger seiner Zeit geschrieben. Unter ihnen waren sein 19-jähriger Schüler Anton Huber, genannt Porporino, der zwei Jahre später zu Friedrich II. nach Berlin ging und als Star der Lindenoper in die Berliner Musikgeschichte einging. Lorenzo Ghirardi, Kammervirtuose des bayerischen Kurfürsten, war Adalgiso. Entsprechend exorbitant sind die vokalen Ansprüche. Freuen sie sich auf ein Gesangsfest der Sonderklasse.
Max Emanuel Cencic setzt mit Carlo il Calvo nach Germanico in Germania (bei Decca auf CD) und Polifemo bei den Salzburger Pfingstfestspielen 2019 seine Auseinandersetzung mit dem großen Neapolitaner Porpora fort. Drei Arien des Lottario sind schon jetzt auf seiner CD Nicola Porpora: Opera Arias (Decca) zu hören.

Bayreuth Baroque 1. bis 14. September 2021

www.bayreuthbaroque.de