Die Ausstellung Mit Hand & Fuss, Haut & Haar ist die erste Ausstellung von Gabriele Stötzer (*1953) in der Schweiz und konzentriert sich auf eine Auswahl ihrer fotografischen Arbeiten aus den frühen 1980er Jahren.
Die Bilder verdeutlichen zentrale Schnittstellen ihrer Kunst: zwischen bewusster Handlung (Hand und Fuß) und tiefempfundener Intimität (Haut und Haar). Werke wie Eine Hand voll (1982) oder Ich bin / Angebunden (1984) veranschaulichen Stötzers ausgeprägtes Vertrauen in den Körper als letztes Mittel sowie als letzte Instanz, der ihrer bildnerischen Praxis und ihrer gesellschaftlichen Haltung innerhalb der Zwänge und Lebensumstände in der DDR Ausdruck verlieh — Ausdruck, der nicht selten untrennbar mit der Auflehnung gegen staatliche Repressionen verbunden war. Nachdem sie 1977 inhaftiert worden war, weil sie eine Petition gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann ab- und unterschrieben hatte, wurde sie auch danach weiterhin von der Stasi überwacht und von offiziellen künstlerischen Institutionen ausgeschlossen. Doch wie Christa Wolf in ihrer Erzählung Was bleibt (1979/1989) nach einer Begegnung mit Stötzer schrieb: „Das Mädchen kann man nicht zurückhalten, dachte ich. Wir können sie nicht retten, wir können sie nicht verderben. Sie soll tun, was sie tun muss, und uns unserem eigenen Gewissen überlassen.“ Geprägt von der Dringlichkeit und der Suche nach Gemeinschaft sowie künstlerischer und persönlicher Eigenständigkeit, erweiterte sich Stötzers Arbeit vom Schreiben über ihre Erfahrungen hin zur bildenden Kunst – Fotografie, Performance und kollektive Projekte – und machte so ihren Körper zu einer Erweiterung ihrer Stimme.

Gabriele Stötzer, Eine Hand voll, 1982 © Gabriele Stötzer, VG Bild-Kunst, Bonn 2025, Courtesy LOOCK Galerie, Berlin.
Stötzers Fotografien zeigen den Körper oft als Schauplatz intuitiven Ausdrucks, des subtilen Protests und/oder der radikalen Transformation, während die in dieser Ausstellung hervorgehobenen Körperteile als Symbole von Handlungsfähigkeit, Verletzlichkeit und Verbundenheit erscheinen. Auch malerische Gesten und Spuren sind häufig Teil ihres Schaffensprozesses – manchmal als transformative Elemente im Rahmen von Performances, manchmal expressiv direkt auf den endgültigen fotografischen Abzug aufgetragen, wie in ihrer Serien Übermalungen und Bemalungen(1982). Diese Bildsprache schwingt in ihren späteren Keramikskulpturen Wünschelruten (1995) aus der Sammlung von Grażyna Kulczyk mit, welche Fragmente von weiblichen Organen und Lippen darstellen – Letzteres ein weiteres Motiv, das in ihren Fotografien immer wieder auftaucht – und die Auseinandersetzung der Ausstellung mit dem Körper sowohl als Ort des Aufbegehrens als auch des Begehrens verdeutlicht.

Gabriele Stötzer, Übermalung Nora, 1982 © Gabriele Stötzer, VG Bild-Kunst, Bonn 2025, Courtesy LOOCK Galerie, Berlin.
Die Fotografie mit ihrer Direktheit und Zugänglichkeit war in den 1980er Jahren zu Stötzers bevorzugtem Medium avanciert und stand im Einklang mit ihrer zeitgleichen Verwendung durch feministische und politische Künstler:innen auf der ganzen Welt. Obgleich sie ein medienspezifisches Vokabular der Emanzipation miteinander teilten, blieb Stötzers Werk tief in den Besonderheiten ihres kulturellen Kontextes verankert. In diesem Zusammenhang ordnet die Ausstellung das Schaffen Stötzers in Piotr Piotrowskis Konzept einer „horizontalen Kunstgeschichte“ ein, das die dominanten westlichen Narrative zugunsten von Parallelhistorien zu dezentrieren versucht. Obwohl ihr Werk eindeutig mit internationalen Kunstpraktiken in Bezug steht, bewahrt es eine Spezifizität, die in der Andersartigkeit ihrer Erfahrung wurzelt. Ihre Bilder, die aus einer Verbindung von persönlicher Entbehrung, kollektivem Engagement, weiblicher Solidarität und politischem Widerstand entstanden sind, stellen lineare Lesarten der Kunstgeschichte in Frage und bereichern den feministischen Diskurs mit einer wegweisenden, regional verankerten Stimme.
Die Ausstellung Mit Hand & Fuss, Haut & Haar möchte das Publikum dazu einladen, sich mit Gabriele Stötzers suggestiver Bildsprache und dem Einsatz des Körpers als intimes und zugleich wirkungsvolles Ausdrucksmittel auseinanderzusetzen. Durch die Einbeziehung von Arbeiten, die auf die Verwendung anderer Medien – wie Ton, Textilien oder Video – durch die Künstlerin anspielen, erweitert die Ausstellung ihren Horizont über die Fotografie hinaus, wobei der Schwerpunkt weiterhin auf körperlichen Motiven liegt. Die Ausstellung, die als zweite Ausgabe der von Barbara Piwowarska geleiteten Reihe OBJEKTIV im Muzeum Susch konzipiert ist, widmet sich dem Vermächtnis Stötzers und ihrer weitergehenden Relevanz in Bezug auf etablierte Narrative und Diskurse über Kunst, Eigenständigkeit und Identität.
15. Juni bis 2. November 2025
www.muzeumsusch.ch

Gabriele Stötzer, Ei gezeichnet, 1982 © Gabriele Stötzer, VG Bild-Kunst, Bonn 2025, Courtesy LOOCK Galerie, Berlin