Günter Brus, Silber, 1965

Otto Muehl, Mama und Papa , 1964

Hermann Nitsch, 3. Aktion (Fest des psychophysischen Naturalismus), 1963

Rudolf Schwarzkogler, 4. Aktion, 1965

Mit seiner zweiten Ausstellung geht das WAM in die Tiefe. Die Eröffnungs-Schau WAS IST WIENER AKTIONISMUS? hatte zunächst einen Überblick über die vielschichtigen Entwicklungen dieser Bewegung in den 1960er-Jahren geboten, bei der die einzelnen Aktionen jeweils nur mit exemplarischen Fotografien vorgestellt wurden. Nun beginnt unter dem Titel VIER AKTIONEN eine Ausstellungsreihe, die ausgewählte Aktionen mit sämtlichen verfügbaren historischen Materialien präsentiert. Auf diese Weise wird es erstmals möglich sein, das Geschehen bei den Aktionen in all seinem Detailreichtum nachzuvollziehen. Ziel der Ausstellung ist es, durch die präzise Beleuchtung einzelner Aktionen, der Rezeption des Wiener Aktionismus neue Perspektiven zu eröffnen.
Gezeigt werden sämtliche jeweils vorhandenen Fotografien von vier Aktionen aus der ersten Hälfte der 1960er-Jahre: Günter Brus, Silber, Otto Muehl, Mama und Papa, Hermann Nitsch, 3. Aktion (Fest des psychophysischen Naturalismus); Rudolf Schwarzkogler, 4. Aktion. 
Der Ablauf beziehungsweise die einzelnen Szenen werden dabei auch verbal beschrieben, wodurch deren inhaltliche Komplexität erkennbar wird.
Indem Aufnahmen unterschiedlicher Fotografen zu sehen sein werden, wird zudem die Rolle der Fotografie näher beleuchtet, und dabei unter anderem aufgezeigt, dass die Künstler aus dem Rohmaterial der Bilder jeweils Ausschnitte bestimmt haben. Die Gegenüberstellung der unbeschnittenen und beschnittenen Sujets sowie die Verwendung letzterer durch die Künstler – etwa im Rahmen von Collagen, aber auch als Motive von Einladungskarten – wird Einblick in deren bildhaftes Denken geben.
Die bei den Aktionen entstandenen bewegten Bilder wiederum werden zeigen, dass die Filmerinnen und Filmer – anders als die Fotografinnen und Fotografen – dem Wunsch von Brus, Muehl, Nitsch und Schwarzkogler nach möglichst dokumentarischer Wiedergabe ihrer Aktionen nicht entsprochen haben.
Nicht zuletzt werden die jeweiligen Vorarbeiten, Skizzen, Partituren und schriftlichen Überlegungen sowie die nachträglichen Reflexionen und teilweise Publikationen der Künstler zu sehen sein, ebenso die erschienenen Presseartikel.
14. Februar bis 27. Juli 2025
https://wieneraktionismus.at

Günter Brus, Silber, Frühjahr 1964, Atelier Muehl, Perinetgasse 1, 1200 Wien, s/w Fotografie, Foto: Ludwig Hoffenreich, mit: Anna Brus

Günter Brus, Silber, Frühjahr 1964, Atelier Muehl, Perinetgasse 1, 1200 Wien, s/w Fotografie, Foto: Ludwig Hoffenreich, mit: Anna Brus

Die Aktion Silber war die zweite Aktion, bei der Günter Brus mit seiner Frau Anna zusammenarbeitete. Er vereinte darin Elemente seiner beiden vorangegangenen Aktionen Ana und Selbstbemalung und entwickelte diese auf poetische und anspielungsreiche Weise weiter. Die Aktion ist in mehrere Handlungsabschnitte unterteilt. Brus kleidete das Keller-Atelier von Muehl in der Perinetgasse mit langen Papierbahnen aus und verhüllte alle sichtbaren Raumelemente. Im zentralen Teil umwickelte er seine Frau Anna mit Leinentüchern und verschnürte sie mit weißen Seilen gleich einem Paket. Danach überschüttete er sie mit Mehl und hievte den umwickelten Körper auf einen weißen Tisch, um ihn an zwei lange Rohre zu binden. Schließlich befreite er sie von ihren Fesseln, entkleidete sie, bemalte sie und schmückte sie mit der namensgebenden Silberfolie.

Otto Muehl, Materialaktion Nr. 11, mama und papa, 4. August 1964, Atelier Muehl, Perinetgasse 1, 1200 Wien, s/w Fotografie, Foto: Ludwig Hoffenreich, mit: Ulla Holzbauer

Otto Muehl, Materialaktion Nr. 11, mama und papa, 4. August 1964, Atelier Muehl, Perinetgasse 1, 1200 Wien, s/w Fotografie, Foto: Ludwig Hoffenreich, mit: Ulla Holzbauer

Was blieb von der Aktion Mama und Papa übrig, die Otto Muehl am 4. August 1964 in seinem Keller-Atelier in der Wiener Perinetgasse mit Ulla Mattes (später Holzbauer) als „Modell“ realisierte? Sieben handschriftliche Texte, die der Künstler vor und nach der Aktion geschrieben hat, mehr als dreihundert Negative, die von zwei Fotografen angefertigt wurden, und ein avantgardistischer Film von Kurt Kren, dessen ursprünglich gedrehtes Footage nicht mehr in seiner Gesamtheit erhalten ist. Trotz dieses umfangreichen „Archivs“ bleibt es unmöglich, ein vollständiges Bild von Mama und Papa zu rekonstruieren.

Hermann Nitsch, 3. Aktion, Fest des psychophysischen Naturalismus 28. Juni 1963, Atelier Muehl bzw. Straße vor dem Atelier, , Perinetgasse 1, 1200 Wien, s/w Fotografie, Foto: Ludwig Hoffenreich

Hermann Nitsch, 3. Aktion, Fest des psychophysischen Naturalismus 28. Juni 1963, Atelier Muehl bzw. Straße vor dem Atelier, , Perinetgasse 1, 1200 Wien, s/w Fotografie, Foto: Ludwig Hoffenreich

Seine 3. Aktion realisierte Hermann Nitsch im Rahmen des Fests des psychophysischen Naturalismus, einer öffentlich zugänglichen Veranstaltung von Otto Muehl und ihm. Neben dem Publikum, dem Fotografen Ludwig Hoffenreich und dem Journalisten Georg Mikes waren auch zahlreiche Schaulustige anwesend.
Das Fest begann mit einer von Muehl durchgeführten Zertrümmerung eines Spiegels, der auf der Straße vor dem Eingang zu Muehls Kelleratelier in der Perinetgasse aufgestellt war – ein symbolischer Akt der Zerstörung und Überwindung des Tafelbilds.
Für seine daran anschließende 3. Aktion legte sich Nitsch zunächst mit einem toten Lamm in ein weiß bezogenes Bett. Anschließend wurde der Kadaver in der Nähe des Bettes kopfüber an einem Fleischerhaken befestigt. Nitsch bearbeitete das Lamm und dessen Kopf ekstatisch mit einer Mauerklampfe, brachte dessen Gedärme zum Platzen, schmiss diese umher, wälzte sich immer wieder in ihnen, aß Blütenblätter einer Teerose und ließ sich mit Essigwasser überschütten. Diese Vorgänge wurden für eine Dauer von 45 Minuten stetig wiederholt und von einem Tonbandwerk mit dem Titel Meditation (1961) des Experimentalmusikers und Komponisten Anestis Logothetis begleitet. Dieses war durch den Direktkontakt eines Mikrofons mit diversen Gegenständen erzeugt worden und korrespondierte mit dem Rhythmus und den Geräuschen von Nitschs Bearbeitung eines Lammkadavers.

Rudolf Schwarzkogler, 4. Aktion, 18. Dezember 1965, Wohnung Heinz und Franziska Cibulka,, Kaiserstraße 16, 1070 Wien, s/w Fotografie, Foto: Franziska Cibulka, mit: Heinz Cibulka

Rudolf Schwarzkogler, 4. Aktion, 18. Dezember 1965, Wohnung Heinz und Franziska Cibulka,, Kaiserstraße 16, 1070 Wien, s/w Fotografie, Foto: Franziska Cibulka, mit: Heinz Cibulka

Bei Schwarzkoglers 4. Aktion, die in ihrer Reduziertheit unübertroffen ist, handelt es sich um eine Tischaktion, einen Typ, den davor bereits Otto Muehl und Hermann Nitsch praktiziert
hatten. Der Kopf des Modells, der wie enthauptet aus einer Tischfläche ragt, und sein im Weiteren am Boden liegende Körper werden verschiedenen Manipulationen ausgesetzt, die Folter und Verletzung, aber gleichzeitig auch Heilung suggerieren. Insbesondere die Bandagierung der Augen führt zur Entindividualisierung und deutet zudem das Motiv der Erblindung an, das mit der ödipalen Kastrationsangst in Verbindung steht. Die gesamte Inszenierung weist Ähnlichkeiten mit den damaligen brutalen Elektroschockbehandlungen auf, wie sie Schwarzkoglers enger Freund Karl Heinz Schlögelhofer über sich ergehen lassen musste. Aufgrund des Datums 18. Dezember 1965, das am Anfang des erst jüngst aufgefundenen Films von Brus steht, wurde die Datierung der 4. Aktion revidiert und gilt somit als Schwarzkoglers vorletzte Aktion. Dazu ist sie die Einzige, von der ein Film existiert. Schwarzkoglers Lebensgefährtin Edith Adam, die bei der 4. Aktion unter seiner Regie mitwirkte, hat die 70 Negative der Aktion in 14 Szenen unterteilt und beschrieben.