Die vom Kulturreferat der Landeshauptstadt München veranstaltete Münchener Biennale ist eines der weltweit führenden Uraufführungsfestivals für gegenwärtiges Musiktheater. Der Komponist Hans Werner Henze, der die Biennale 1988 gründete, verstand das Festival vor allem als Nachwuchsplattform für junge Komponierende. Sein Anliegen war es, dem Musiktheater ein neues Repertoire zu erschließen und damit eine Zukunft zu sichern.
Die Menschheit ist mehr als je zuvor unterwegs und die Welt um uns herum unaufhaltsam im Wandel. Mit dem Motto „On the way“ macht die Münchener Biennale 2024 die Bewegung selbst zum Thema. Elf Produktionen werden Wege aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Wege, die Menschen gehen, Wege, die die Welt geht: in die Hitze, ins Globale, ins Digitale, zu Fuß oder im Kopf.
Searching for Zenobia von Lucia Ronchetti
Deutschland 2024: Zeina liegt im Sterben. Ihrer Tochter Leyla fällt das Tagebuch ihrer Mutter in die Hände, das Zeina geschrieben hat, um Leyla ihre eigene Geschichte näherzubringen. Mit Leyla tauchen wir in die Biografie der syrischen Archäologin ein, die einst Palmyra und die Geschichte der antiken Königin Zenobia erforschte, bevor sie sich durch den Krieg gezwungen sah, Syrien zu verlassen und in Deutschland Zuflucht zu suchen. Hier wandern ihre Gedanken immer wieder zurück in ihre Heimat. Vor allem begleitet sie die imaginierte Präsenz von Zenobia, mit der sie in einen intimen Dialog tritt.
Lucia Ronchetti und Mohammad Al Attar erzählen die Geschichten zweier syrischer Frauenfiguren: Zeina vereint reale und komplexe Erfahrungen der Flucht und Migration verschiedener moderner Frauen. Ihre eigene Biografie setzt sie ins Verhältnis zum Leben Zenobias. Deren musikalische Sphäre ist von Fragmenten aus Albinonis gleichnamiger venezianischer Oper und Elementen traditioneller syrischer Musik geprägt. Diese Einflüsse werden durch den Gesang von Mais Harb und den Perkussionisten Elias Aboud gestaltet, die – wie Al Attar – aus Syrien stammen und inzwischen zu den herausragenden Künstlerinnen und Künstlern ihrer Kultur in Deutschland zählen.
31. Mai, 1. und 2. Juni 2024
Shall I build a dam? von Kai Kobayashi
Die Komponistin Kai Kobayashi, die sich seit Jahren intensiv mit Musiktheater befasst, und die Choreografin und Performerin Simone Aughterlony arbeiten hier zum ersten Mal miteinander. Ihr szenisches Projekt beschreibt einen Weg innerer Entwicklung und Transformation, der als räumlicher Prozess sicht- und hörbar wird. Wie verändern wir uns „on the way“?
1., 2., 3. und 4. Juni 2024
Rüber von Nico Sauer
RÜBER ist ein Personenbeförderungsmusiktheater von Nico Sauer. Die Fahrgastzelle einer Limousine wird zum mobilen Theatersaal, der Verkehr Teil des synästhetischen Erlebnisses zwischen Innenraum und Außenwelt und die Route zur Choreographie einer zufälligen Bewegung. Musikerinnen/Musiker und Schauspielerinnen/Schauspieler fahren, performen und dirigieren die multisensorische Reise durch die Münchner Innenstadt.
1. bis 4. und 6. bis 10. Juni 2024
Territorios Duales / Doppelter Boden von Carlos Gutiérrez
Der Komponist Carlos Gutiérrez erarbeitet gemeinsam mit der Künstlerin Tatiana Lopez sowie einer Gruppe von 100 nicht-professionellen Musikerinnen und Musikern aus München ein auf Elementen der traditionellen bolivianischen Hochlandmusik basierendes Klangtheater. Das Kooperationsprojekt mit der Münchner Volkshochschule befragt südamerikanische und westeuropäische Wahrnehmungsweisen von Klängen und Klangerzeugung und erweitert sich nach ungewöhnlichem Beginn im Saal X zu einer immer weiter verzweigten Klangskulptur in den Isarauen.
2. und 9. Juni 2024
nimmersatt von Eve Georges / Jiro Yoshioka
Ein Projekt der Hochschule für Musik und Theater München
Fressen oder gefressen werden? Die immersive Musiktheateruraufführung „nimmersatt“ lädt das Publikum ein, sich mittels virtual reality und Live-Performance auf eine politische Abenteuerreise durch den menschengemachten Nahrungskreislauf zu begeben.
3. bis 6. Juni 2024
Collective Joy (under construction) von Andreas Eduardo Frank / Patrick Frank
Die Komponisten Andreas Eduardo Frank, Patrick Frank sowie der Regisseur Georg Schütky gehen in den Wirtschaftsmetropolen München und Basel auf die Suche nach dem so genannten Glück. In welchem Verhältnis steht das Glück des Kollektivs zum Unglück Einzelner? Kann man den Weg zum Glück mit anderen teilen? Gemeinsam mit dem Ensemble Lemniscate, Sängerinnen/Sänger, Performerinnen/Performer, einem Laienchor und Münchner Laiendarstellerinnen/Laiendarsteller stellen sie in einer musikalischen Performance unterschiedliche Glückskonzepte zur Debatte und untersuchen die daraus resultierenden Lebens- und Gesellschaftsentwürfe.
4. bis 7. Juni 2024
Die neuen Linien
Drei Musiktheateruraufführungen für den Öffentlichen Raum der Stadt München
Auf welche Weise kann das gegenwärtige Musiktheater zur Erfindung und Formulierung neuer (Gedanken-)Linien für eine sinnvolle Mobilität der Zukunft beitragen? Indem es ungewöhnliche theatrale Setzungen im Öffentlichen Raum produziert, an denen niemand vorbeikommt! Indem mitten in der Stadt (und damit vor aller Augen!) Bahnhöfe der Zukunft eröffnet werden, robotergesteuerte und von Musik gespeiste Fortbewegungsmittel in Erscheinung treten oder inmitten der Besucherinnen und Besucher der städtischen Bibliothek HP8 neue Bewegungsströme des Wissens, Erinnerns und Vergessens in Gang gesetzt werden! Mit „Die neuen Linien“ sucht die Biennale die Bedeutung künstlerischen Denkens für die Bewältigung zentraler gesellschaftspolitischer Fragestellungen hervorzuheben. Für diesen besonderen Pilotversuch lädt die Münchener Biennale drei frei produzierende Gruppen aus Finnland (Oblivia), den Niederlanden (Het Geluid) und Deutschland (Novoflot) ein, die seit vielen Jahren die europäische Musiktheaterszene prägen und nun gemeinsam mit den Komponistinnen und Komponisten Ted Hearne, Tamara Miller, Du Yun und Yiran Zhao erstmals für die Biennale produzieren. Die drei Uraufführungen werden im Zeitraum 05. – 09. Juni mehrmals täglich zu sehen sein oder können innerhalb bestimmter Öffnungszeiten besucht werden.
The Gates are (nearly) open von Novoflot
Es ist der europaweit erste MBE-Bahnhof, der anlässlich der Biennale mitten in der Münchener Innenstadt eingerichtet wird. MBE ist die Abkürzung für „Maximum Broad Effekt“ (Maximale Breitenwirkung) und steht für vielfach anpassungsfähige Andock- und Abfertigungsverfahren, mit denen höchst unterschiedliche Fortbewegungsmittel des zukünftigen öffentlichen Stadtverkehrs bedient werden können. Eine einzigartige Innovation, die große Erwartungen weckt. Doch vor der Inbetriebnahme steht die Einweihung der neuen Station und es ist die Berliner Opernkompanie Novoflot, die die mehrtägigen Eröffnungsfeierlichkeiten des neuen Münchner Bahnhofs inszeniert. Unter dem Motto „The Gates are (nearly) open“ laden Novoflot und die Komponistin Du Yun alle Stadtbewohnerinnen/Stadtbewohner und internationalen Gäste zur Erstbesichtigung der mit MBE-Technologie betriebenen Station ein, demonstriert die musikgesteuerte Energieversorgung, öffnet erstmals die „Feel well and easily moved“-Bereiche des Bahnhofs und präsentiert einige Protagonistinnen und Protagonisten aus dem Management der neuen Münchner Sehenswürdigkeit.
5., 6., 7. und 9. Juni 2024
Turn Turtle Turn von Het Geluid
„Wie ist es nur so weit gekommen?“ Im Erdzeitalter des Anthropozän und seiner menschengemachten Krisen stellt sich Oblivia diese Frage als Ausgangspunkt ihres neuen Stücks, das im Rahmen der Münchener Biennale 2024 in Außen- und Innenräumen der Stadtbibliothek im HP8 uraufgeführt wird. Einmal mehr nähern sich die finnischen Exportschlager der neuen Musiktheater-Szene in ihrer Arbeit damit den großen Menschheitsthemen, denen sie in Textfragmenten, Bewegung und Neuer Musik mit feinem Witz begegnen. Gemeinsam mit drei lokalen Sängerinnen/Sänger und dem zwölfköpfigen Ensemble ö! unter der Leitung von Francesc Prat entwerfen die vier Performerinnen/Performer von Oblivia in „Turn Turtle Turn“ ein grandioses Tableau: Spielerisch und pointiert gleichermaßen mäandern sie zwischen Dino-Age und Abenteuergeschichten, zwischen Eiszeit und Parallelwelten, prähistorischer Geografie und unserer Jagd nach fossilen Rohstoffen. Mal nah dran, mal scheinbar gänzlich abgetrieben bewegt sich „Turn Turtle Turn“ auf einer Spurensuche zum Status Quo der Menschheit zwischen fortwährender (Selbst-)Zerstörung und persistierender Hoffnung.
5., 6., 7. und 9. Juni 2024
In Passage von Tamara Miller, Ted Hearne
„In Passage“ ist ein Musiktheaterprojekt, das unsere Verbindungen mit einer technologischen und digitalen Welt erforscht, während wir selbst immer noch analoge und physische Menschen bleiben. Durch das Zusammenspiel zwischen einer (speziell entwickelten) kinetischen Klangskulptur, einem Chor, einem Ensemble von Musikern und neuen Kompositionen entdecken wir neue Zusammenhänge zwischen dem Virtuellen und dem ‚Echten‘ in unserer modernen städtischen Umgebung. „In Passage“ ist Musiktheater über neue Formen kollektiver Arbeit, über technische und soziale Entwicklungsprozesse, die zukünftige Gesellschaften in Bewegung versetzen könnten.
5., 7., 8. und 9. Juni 2024
Defekt von Mithatcan Öcal
Die Erde ist verloren. Im Ödland einer erschreckend realen Zukunft nach der großen Katastrophe ist es allerhöchste Zeit, die Biege zu machen. Wer ein Raumschiff hat, kann sich also glücklich schätzen – doch bevor Mike Tango, Sierra Sierra, Charlie Golf und Mandy Lemon das Weite suchen können, müssen Schiff und Bordcomputer erstmal wieder mitspielen. Aber die erweisen sich bei genauerer Betrachtung als erstaunlich eigenwillig und lebhaft…
Defekt (UA) ist ein Auftragswerk in Kooperation mit dem Staatstheater Kassel. Der Istanbuler Komponist Mithatcan Öcal gilt als eines der größten internationalen Talente der zeitgenössischen Musik. Er steht für starke musikalische Konzepte entlang großer Traditionslinien und musikalischer Eigenlogiken in einer radikalen Großform, die sich bewusst anti-eklektizistisch versteht. Der Text der Weltraumoper stammt von der interdisziplinären Künstlerin cylixe, die auch für die Videos der Inszenierung verantwortlich zeichnen wird. Ihre Arbeiten bewegen sich quer durch die Bildenden Künste und durch verschiedenste Medien, entlang sozialer und politischer Bruchkanten, durch menschliche Netzwerke und Realitäten, über Kontinente hinweg – und für dieses Auftragswerk sogar durch Raum und Zeit.
8., 9. und 10. Juni 2024