Im Kontext des 70. Jubiläums der documenta präsentiert das Fridericianum ein außergewöhnliches Projekt der Künstlerin Cosima von Bonin. Dabei geht es um Kreativität, Gemeinschaft und feierliche Momente, aber auch um Referenzen an die Kunst- und documenta Geschichte, sowie gesellschaftliches Miteinander. Zentrales Element sind Wimpelketten, die die 1962 in Mombasa geborene und heute in Köln lebende Künstlerin eigens für das Fridericianum gestaltet hat. Anders als bei klassischen Versionen des Festtagsschmucks haben von Bonins Fähnchen keine dreieckige Form. Sie weisen stattdessen die Silhouette einer Palme auf, die zum festen Bestandteil des Formenvokabulars der Künstlerin zählt und etwa in ihren jüngeren Bildern auftaucht.

Ein Kunstwerk für alle
Alle Einwohnerinnen und Einwohner Kassels – Kinder, Jugendliche und Erwachsene – sind eingeladen, mit den Wimpelketten gemeinschaftlich ihre Stadt zu schmücken. In diesem Zusammenhang können die kunstbegeisterten Gäste des Fridericianum sich im Foyer der Kunsthalle ihr eigenes Exemplar der Edition kostenfrei abholen. Darüber hinaus werden die 7000 Palmen gemeinsam mit Schulen, Kooperationspartnerinnen, Kooperationspartner sowie weiteren Akteurinnen und Akteuren in den öffentlichen Raum getragen. Auf diese Weise sollen möglichst viele Menschen an dem ungewöhnlichen Kunstprojekt teilhaben und neue Begegnungsformen zwischen Kunst und Nachbar*innenschaft stattfinden.
Cosima von Bonin zählt zu den einflussreichen Positionen ihrer Generation. Sie war 2007 an der documenta 12 und 2022 an der Biennale di Venezia beteiligt. Ihr Werk wurde international durch institutionelle Einzelausstellungen etwa im Kunsthaus Bregenz (2010), im Museum Ludwig in Köln (2011), im MUMOK – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig Wien (2014), im SculptureCenter in New York (2016) oder im Mudam – Musée d’Art Moderne Grand-Duc Jean in Luxemburg (2024) gewürdigt.

Cosima von Bonin und Eddie, Foto: Simone Junker, 2024

Cosima von Bonin und Eddie, Foto: Simone Junker, 2024

Hommage an Beuys und Buren
Kunst im öffentlichen Raum hat in Kassel, nicht zuletzt aufgrund der documenta, eine lange Tradition. Besonders Joseph Beuys’ Werk 7000 Eichen – Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung hat die nordhessische Metropole nachhaltig transformiert und bereits in den 1980er Jahren eine eigene Antwort darauf gefunden, wie Kunst im Stadtraum mit den Mitteln der Ästhetik und Ökologie zur Steigerung der Lebensqualität aller Bewohner*innen beitragen kann. Mit dieser Sozialen Plastik, also einem Kunstwerk, das den Anspruch verfolgt, auf die Gesellschaft einzuwirken, sie zu verändern oder zu formen, begann der 1921 in Kleve geborene und 1986 in Düsseldorf gestorbene Künstler Joseph Beuys auf der documenta 7 (1982). In einem über fünf Jahre laufenden Prozess wurden 7000 Bäume gepflanzt, jeweils begleitet von einer Basaltstele – ein langsam wachsender Eingriff in das Gefüge der Stadt, der sie bis heute prägt.

Neben dieser humorvollen wie respektvollen Hommage an Joseph Beuys nimmt Cosima von Bonins Intervention zudem auf eine Arbeit von Daniel Buren Bezug: Die Installation Wimpel-Text-Musik des 1938 in Boulogne-Billancourt geborenen und heute in Paris lebenden Künstlers wurde ebenfalls auf der documenta 7 (1982) präsentiert. Dafür verwendete Buren erstmals eine Vielzahl klassischer Wimpelketten, deren Fähnchen mit seinem Markenzeichen, einem 8,7 Zentimeter breiten Streifen, bemalt waren. Diese wurden über den vor dem Fridericianum gelegenen Friedrichsplatz gespannt, wobei die Setzung von einer Auswahl klassischer Musik begleitet wurde. Den Festtagsschmuck nutzte Buren 1997 erneut im Rahmen seines Beitrags zu den Skulptur Projekten Münster mit der temporären Arbeit Travail in situ, Münster als Arbeitsgrundlage – einer Installation von gestalteten Wimpelketten am Prinzipalmarkt.

Cosima von Bonin: 7000 Palmen, 2025, (Kunstwerk zum Mitnehmen / Artwork to take home)Foto / Photo: Nicolas Wefers © Cosima von Bonin, documenta und Museum Fridericianum gGmbH

Cosima von Bonin: 7000 Palmen, 2025, (Kunstwerk zum Mitnehmen), Foto Nicolas Wefers © Cosima von Bonin, documenta und Museum Fridericianum gGmbH

Die Palme als Zeichen – zwischen Alltag und Weltgeschichte
Für ihre Girlanden nutz Cosima von Bonin die stilisierte Form einer Palme – ein Motiv mit vielschichtiger Bedeutung. Kaum eine andere Pflanze ist symbolisch so aufgeladen: über Jahrhunderte und verschiedene Kulturen hinweg. Seit der Antike stehen die Palme und der Palmzweig in politischen und religiösen Kontexten für Frieden, Ewigkeit, Freude und Weisheit – ebenso wie für Sieg, Reichtum und Überfluss. In westlichen Kulturen gilt die Palme heute als Sinnbild für Fernweh, Sehnsucht nach einem idealisierten „Süden“ und für den Luxus der Erholung in fernen Ländern. In Regionen, in denen Palmen auf natürliche Weise wachsen, steht sie hingegen für Identität, Heimat, wirtschaftlichen Wohlstand und prägt urbanes Umfeld, Kulinarik und Alltag. Daneben verweist von Bonins Darstellung auf visuelle Codes der Popkultur, der Werbung, des Nachtlebens, der Mode sowie der queeren Welt.

Kunst im Stadtraum: Ein Projekt, das verbindet
Die Verwendung konturierter Umrissformen – oft entlehnt aus Cartoons, Comics oder von Tierfiguren – zieht sich durch das gesamte Werk der Künstlerin: mal fragmentiert wie die weißen Handschuhe von Micky Maus, mal abstrahiert wie ein Rorschachtest. Ob collagierte Stoffbilder, übergroße Kleidungsstücke, Wandbehänge oder Skulpturen, die an Plüschtiere oder Designertaschen erinnern, – Textilien sind ein zentrales Medium in von Bonins Werk. Mit der Wimpelkette löst sie diesen Teil ihrer Praxis aus dem Ausstellungskontext und verlässt die Institution. Durch die Intervention im Stadtraum wächst in Kassel temporär ein Palmenwald. Diese räumliche Öffnung und die vielfältigen Bezüge und Themenfelder von 7000 Palmen schaffen besondere Bedingungen für ein umfangreiches Begleitprogramm, bestehend aus Workshops, Aktionen, Vorträgen, Performances und Konzerten. Die Formate ermöglichen Begegnung und Austausch: Kunst kann Menschen zusammenbringen, unseren Einfallsreichtum und unsere Schöpfungskraft beflügeln und vielleicht sogar etwas in der Gesellschaft bewirken. Von Bonins Wimpel laden uns ein, die Kunst, das Gemeinsame, das Verbindende und die Kreativität zu feiern – und vielleicht sogar beim Schmücken der Straße die Nachbarinnen und Nachbarn ein bisschen besser kennenzulernen.
7. Juni bis 28. September 2025
https://fridericianum.org

Cosima von Bonin: How To Decorate Without Going Broke 1, 2024, Wolle, Baumwolle, Acryl145 × 150,5 × 3 cm, Foto: Stefan Korte © Cosima von Bonin, Courtesy die Künstlerin und Galerie Neu, Berlin

Cosima von Bonin: How To Decorate Without Going Broke 1, 2024, Wolle, Baumwolle, Acryl, 145 × 150,5 × 3 cm, Foto: Stefan Korte © Cosima von Bonin, Courtesy die Künstlerin und Galerie Neu, Berlin