Vom 21. Juni 2025 bis 22. Februar 2026 beschäftigt sich die Kunsthalle Osnabrück mit Geistern. Es geht um Themen wie Vorfahren, Ahnen, Wissensweitergabe über Generationen, traditionelle Handwerkstechniken, transgenerationales Trauma und gemeinsames Lernen. [Transgenerationales Trauma bedeutet: Schlimme Erlebnisse werden von einer Generation an die nächste weitergegeben.]
Die Kunsthalle Osnabrück ist ein besonderer Ort. Sie ist in einer ehemaligen Kirche. Das Programm 2025 lädt die Besucherinnen und Besucher dazu ein, sich eigene versteckte Geister und Spukgespenster in Erinnerung zu rufen. Kunst kann ein Mittel sein, sich mit ihnen auseinanderzusetzen und die eigene Geschichte zu verstehen und aufzuarbeiten. Das Jahresthema „Geister“ ist mehrdeutig. Manche Aspekte des Themas lassen sich mit dem Verstand erfassen, andere eher auf der Gefühlsebene. Beides soll gleichberechtigt nebeneinander stehen und weitererzählt werden. Materielle und nicht materielle Erscheinungen, europäische und außereuropäische Sichtweisen und alte und neue Kulturtechniken. Zur Ausstellungseröffnung am 21. Juni gibt es ein Sommerfest!

Chaveli Sifres: Epona
Chaveli Sifres arbeitet in ihrer Kunst intensiv an der Erforschung von Heiltraditionen aus verschiedenen Kulturen und Religionen und dem Wissen über Pflanzen. In ihren Bildern, Skulpturen, Ritualen und Workshops beschäftigt sie sich mit dem Zusammenspiel von Glauben, Wissenschaft, Sinneseindrücken und Heilmethoden. Dabei geht es auch um ihren kulturellen Hintergrund in Europa und der Karibik. Seit Jahren stellt Chaveli Sifre immersive Duftinstallationen her, die über traditionelle Materialien hinausgehen. Ihre Arbeit erforscht, wie sensorische Erfahrungen unsere Identität formen und uns mit unserem Erbe verbinden.
In der Kunsthalle Osnabrück wird Chaveli Sifre eine neue Arbeit entwickeln. Sie verwandelt die ehemalige gotische Kirche in eine multisensorische Landschaft. [Multisensorisch bedeutet: Ich kann den Raum mit verschiedenen Sinnen erfassen.] Sie lädt die Besucher:innen dazu ein, sich mit Gerüchen, Klängen und dem Ertasten auseinanderzusetzen. Die Installation bedeckt den gesamten Fußboden mit Muscheln aus der Nordsee. Beim Laufen knistern sie unter den Füßen und lösen so bei jedem Schritt Gedanken über Zerbrechen und Veränderung aus.
Die Ausstellung ist nach Epona benannt – einer Göttin aus alten Glaubensvorstellungen. Sie ist die Göttin der Fruchtbarkeit und der Pferde. Sie steht für eine freie, naturverbundene Kraft mit Blick in die Zukunft. Epona und das Pferd gelten beide als Seelenführerinnen. Das bedeutet: Sie verbinden die Welt der Lebenden mit der der Toten. Gleichzeitig stehen sie für die wilde Natur, aber auch für Fürsorge, Kampf und die enge Beziehung zwischen Mensch und Tier. Die Ausstellung lädt mit vielen Sinneseindrücken dazu ein, über unser Verhältnis zur Natur nachzudenken.
21. Juni bis 19. Oktober 2025

Chaveli Sifre, „Wolkenportal“, Installationsansicht aus „BAW Garten @Gropius Bau during Berlin Art Week“ Berlin, 2024. Kuratiert von Marie-Therese Bruglacher. Foto: Marie-Therese Bruglacher

Chaveli Sifre, „Wolkenportal“, Installationsansicht aus „BAW Garten @Gropius Bau during Berlin Art Week“ Berlin, 2024. Kuratiert von Marie-Therese Bruglacher. Foto: Marie-Therese Bruglacher

Minh Doc Pham: Never Quite Right
Minh Duc Pham ist Künstler und Performer. Er arbeitet mit zerbrechlichen Materialien wie Ton, Stoff und Blumen. Er verarbeitet sie mit traditionellen Techniken wie Nähen, Papierschöpfen oder Ikebana. [Papierschöpfen bedeutet: Aus altem Papier wird neues gemacht. Die Technik gibt es schon sehr lange. Und Ikebana ist eine japanische Kunstform, bei der Blumen und andere Materialien zu Gestecken zusammengefügt werden.] In seiner Kunst erzählt er Geschichten auf eine neue Art. So werden Stimmen gehört, die oft nicht erinnert werden.
Minh Duc Pham wurde in Deutschland geboren. Schon früh war er mit gesellschaftlichen Erwartungen konfrontiert: sich anzupassen und gute Leistung zu zeigen. Die frühen Erfahrungen mit diesem Druck sind Teil von Minh Duc Phams künstlerischer Arbeit. Er leistet Widerstand gegen Rassismus, Klassismus und Queerfeindlichkeit, also gegen verschiedene Formen von Benachteiligungen. Dieser Kampf bildet die Basis seiner Kunst.
Minh Duc Pham ist Sohn vietnamesischer Vertragsarbeiter:innen. In der DDR arbeiteten ab den 1980er-Jahren viele Menschen aus Vietnam. Es gab einen Vertrag dafür zwischen der DDR und Vietnam. Die Vertragsarbeiter:innen arbeiteten oft in Fabriken, oft für mehrere Jahre. Sie lebten in Wohnheimen oder Gruppenunterkünften und hatten nur wenig Kontakte zu den Bewohner:innen der DDR. Damals wurde von der politischen Führung gesagt: „Die Vertragsarbeiter:innen kommen aus einem sozialistischen Bruderland“. Trotzdem war ihr Alltag oft von Ausgrenzung und Ungleichheit geprägt.
Für den Innenhof der Kunsthalle Osnabrück entwickelt Minh Duc Pham ein poetisches Denkmal. Es ist den vietnamesischen Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeitern der ehemaligen DDR gewidmet. Ihr Gefühl von Abhängigkeit, Unsichtbarkeit und Ungewissheit wird damit sichtbar gemacht.
Die Vorlage für Minh Duc Phams Arbeit war die analemmatische Sonnenuhr. Eine analemmatische Sonnenuhr ist eine besondere Art von Sonnenuhr. Sie zeigt die Uhrzeit mit Hilfe der Sonne und eines Schattens an. Das Besondere daran ist: Der Schattenstab ist nicht fest, sondern er muss je nach Datum verschoben werden.
Minh Duc Pham versteht diese Sonnenuhr aber nicht nur als Zeitmesser. Sondern als einen poetischen Zeitkörper. Er verbindet Erinnerung, Verlust und Widerstand. Die Stunden sind durch unterschiedlich hohe, sich windende Blüten markiert. Das erinnert unter anderem daran, dass viele Vertragsarbeiter:innen nach der Wiedervereinigung Blumenläden eröffneten. Die Blüten erinnern auch an Dornen- und Blatt-Entferner. Sie stehen für das Glätten und Gleichmachen widerständiger Elemente.
Im Zentrum der Arbeit steht eine Einladung: Die Besucher:innen selbst werden zum schattenwerfenden Zeiger. Sie platzieren sich auf der Datumsleiste. So aktivieren sie die Zeitmessung mit ihrem Körper. Doch diese Bewegung ist begrenzt. Der Monatsregler ist auf den 11. April 1980 festgelegt. Auf den Tag der Vertragsunterzeichnung zwischen der DDR und Vietnam. Jede ablesbare Zeit ist also verschoben und verzerrt – ein System, das sich nicht an Menschen orientiert, sondern an politischen Entscheidungen.
Diese Veränderung steht symbolisch für die Brüche im Leben vieler Vertragsarbeiterinnen, Verarbeitern und ihrer Kinder. Sie zeigt, wie stark staatliche Regelungen ihre Lebenswege beeinflusst haben – und bis heute beeinflussen.
21. Juni bis 19. Oktober 2025

Minh Duc Pham, „Rosenbrigade“, Installationsansicht Galerie im Tempelhof, 2025. Courtesy und Foto Minh Duc Pham

Minh Duc Pham, „Rosenbrigade“, Installationsansicht Galerie im Tempelhof, 2025. Courtesy und Foto Minh Duc Pham

Christian Diaz Orejarena: Otras Rayas – Andere Linien
Christian Diaz Orejarena ist Künstler und Kunstvermittler. Seine künstlerische Arbeiten beruht auf Forschung und Geschichte. Sie macht Ungerechtigkeiten, Ungleichheiten und wirtschaftliche Abhängigkeitsverhältnisse sichtbar. Abhängigkeitsverhältnisse zwischen der westlichen Welt und dem Globalen Süden.
[Die Länder des Globalen Südens liegen in Afrika, Lateinamerika, Süd- und Südostasien, im Nahen Osten und in Ozeanien. Diese Länder wurden früher Entwicklungsländer genannt. Sie wurden von europäischen Ländern ausgebeutet. Die Folgen dieser Ausbeutung sind bis heute spürbar.]
Christian Diaz Orejarena verbindet Fantasie, Vorstellungskraft und echte Geschichten miteinander. In seinen Comics, Zeichnungen und Videos zeigt er Menschen, die anders sind. Sie passen sich nicht an. Sie wehren sich und stellen sich gegen die Ausbeutung des Globalen Südens.
2021 veröffentlichte Christian Diaz Orejarena seinen Comic „Otras Rayas – Andere Linien“. Dieser beschäftigt sich mit den Verbindungen und Auswirkungen der deutschen Kolonialgeschichte in Kolumbien. Unternehmer aus Deutschland legten damals Handelswege durch Kolumbien an, sodass Europäer:innen das Land besser ausbeuten konnten. Entlang dieser Handelswege werden in dem Comic verschiedene Familiengeschichten erzählt. Auch Christian Diaz Orejarenas eigene Lebensgeschichte. Sein Vater kommt aus der Region Santander in Kolumbien. Dort hat auch der Kaufmann Geo von Lengerke aus Niedersachsen im 19. Jahrhundert große Landflächen erschlossen. Auf den Flächen wurde Chinin abgebaut. Chinin war ein wichtiges Mittel gegen das Malariafieber. Es war damals sehr wertvoll und half, neue Gebiete unter Kontrolle zu bringen. Außerdem baute Geo von Lengerke Straßen und Brücken.
Geisterhafte Masken und Figuren führen durch die Geschichte des Comics. Der Comic zeigt, wie die Vergangenheit noch heute nachwirkt. Wer hat welche Macht über die Wirtschaft in Kolumbien? Wem gehören das Land und die unerschlossenen Wälder? Und was haben deutsche Museen damit zu tun? Für die Kunsthalle Osnabrück hat Christian Diaz Orejarena den Comic zum ersten Mal als begehbaren Raum umgesetzt.
21. Juni bis 19. Oktober 2025
https://kunsthalle.osnabrueck.de

Christian Diaz Orejarena, „Otras Rayas – Andere Linien“, 2021. Courtesy und Foto: Christian Diaz Orejarena

Christian Diaz Orejarena, „Otras Rayas – Andere Linien“, 2021. Courtesy und Foto: Christian Diaz Orejarena