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Das Schauspiel Hannover bildet gemeinsam mit der Staatsoper Hannover die Niedersächsische Staatstheater Hannover GmbH. Es bietet dem Publikum Theater, Unterhaltung und Musik an fünf verschiedenen Orten. Neben dem Schauspielhaus gehören dazu Cumberlandsche Bühne, Cumberlandsche Galerie sowie in der Altstadt Ballhof Eins und Ballhof Zwei. Seit Beginn der Spielzeit 2019/20 ist Sonja Anders Intendantin des Schauspielhauses.
Hier einige spannende Premieren der Saison 20/21. Genaue Termine werden so bald wie möglich bekanntgegeben.

Was Ihr wollt von William Shakespeare
Illyrien, das Reich der Sehnsucht, ist die Kulisse für eine Gesellschaft chronisch Liebender und Leidender: Narzisten, trunken von Liebe (und Wein), sehnsüchtig, maß- und heillos in den Falschen verliebt. Es ist eine Welt, in der Müßiggang mehr zählt als Arbeit, Genuss mehr wert ist als Genügsamkeit. Dennoch herrschen Schwermut und Stillstand. Denn Herzog Orsino, der das Reich regiert, ist unglücklich verliebt in Gräfin Orsina. Seine unerfüllte Liebe lähmt alle. Erst als ein Schiffsunglück Viola an den Strand spült, kommt Bewegung in die Gesellschaft. Sie tritt, zu ihrem Schutz als Mann verkleidet, in den Dienst des Herzogs. Als sein Liebesbote verführt sie die Gräfin mit androgynem Charme und verwirrt das Gefühlsleben Orsinos und seiner spaßsüchtigen Hofgesellschaft.
Der Hof des Schauspielhauses wird zur Kulisse für ein Verwirrspiel, in dem sich die Charaktere hinter scheinbar vorgetäuschten Identitäten verstecken. Ronny Jakubaschk ist Hausregisseur im Ensemble des Neuen Theaters Halle und arbeitet freischaffend an den Staatstheatern in Mainz, Karlsruhe und Cottbus. Seine Arbeiten wurden unter anderem zu den Festivals Radikal Jung, Autorentheatertage Berlin und Augenblick mal! eingeladen.

Mythos Wirklichkeit
Ein Doppelabend von Jonathan Heidorn und Pia Kröll
Der Ballhof Zwei wird zu einem Forschungslabor, in welches sich die Regisseurin Pia Kröll und der Regisseur Jonathan Heidorn aufmachen, um in jeweils einer Inszenierung die Mythen unserer Gegenwart und ihre Wirklichkeitstauglichkeit zu befragen. Pia Kröll befasst sich mit der Figur Kriemhild aus dem Nibelungenlied, der Sagengestalt schlechthin, welche zugleich mehrere Mythen des Weiblichen in sich vereint: schöne und begehrenswerte Königstochter einerseits, Rachegöttin andererseits. Wie wirken diese Narrative aus uralter Zeit in uns fort, und was erzählen sie über Gerechtigkeit, Recht und die Grenzen des Verwundbaren?
Jonathan Heidorn befasst sich mit Erzählstrategien unserer Gegenwart und ihrem Verhältnis zu Wahrheit und Wirklichkeit. In einer überkomplexen und vielschichtigen Welt gibt es die große Sehnsucht nach Vereinfachung, nach eindeutigen Bildern und Erzählungen. Die Grenze von Lüge und Wahrheit verschwimmt zugunsten einer Mythologisierung der Gegenwart. Ist die Wahrheitssuche immer höchstes Gut und moralische Verpflichtung oder braucht die Welt auch neue Lügen?
Pia Kröll, aufgewachsen in der Nibelungenstadt Plattling, studierte an der Universität Hildesheim. Seit der Spielzeit 2019/20 ist sie Regieassistentin am Schauspiel Hannover. Jonathan Heidorn, ebenfalls Regieassistent am Schauspiel Hannover, arbeitete nach dem Abitur ein Jahr beim BAT Centre in Durban; 2016 begann er sein Regiestudium am Mozarteum Salzburg. Zur Premiere wird der Doppelabend gerahmt von einem Wochenende mit Diskurs, Mythen und einer wirklich guten Party.

Öl der Erde von Ella Hickson
Cornwall, 1889. Die Präsentation einer Petroleumlampe wird zum erleuchtenden Moment im Leben der jungen May, und sie beschließt, ihr Schicksal und das ihrer Tochter Amy selbst in die Hand zu nehmen. In vier Schlaglichtern begleiten wir sie auf ihrer Reise, die 1908 in Persien beginnt. Als Kellnerin bei einem Empfang in Teheran wird sie Zeugin, wie die britische Regierung, um den bedeutendsten Rohstoff Persiens auszubeuten, auch vor politischer Einflussnahme nicht zurückschreckt. Im Amerika der 1970er-Jahre ist May zur Vorsitzenden eines internationalen Ölkonzerns aufgestiegen und gerät nicht nur mit der libyschen Regierung, sondern auch mit ihrer Tochter Amy in Konflikt. Über Bagdad 2021 führt die Geschichte wieder in ein futuristisches Cornwall. Das Ende des Ölzeitalters ist gekommen, ein Verlust, der die westliche Welt schwer beschädigt hat. Die Demonstration erneuerbarer Energien wird zum erleuchtenden Moment im Leben der jungen Amy …
Über 150 Jahre erstreckt sich die Handlung von Ella Hicksons Öl der Erde. Scheinbar mühelos reisen May und Amy durch die Zeit und erzählen vor dem Hintergrund globaler Auswirkungen und Abhängigkeiten von einer der weltwichtigsten Ressourcen eine weibliche Emanzipationsgeschichte.
Armin Petras wird die Geschichte um Kolonialismus, Kapitalismus, Familie und Empowerment inszenieren. Er leitete das Maxim-Gorki-Theater Berlin sowie das Schauspiel Stuttgart. Als freier Regisseur inszeniert er u.a. in Bremen, Köln und am Deutschen Theater Berlin. Für seine kraftvollen und politischen Regiearbeiten erhielt er zahlreiche Preise und Festivaleinladungen.

Amphitryon
Tragikomödie von Heinrich von Kleist
Was passiert, wenn ich nicht mehr mit Sicherheit sagen kann, wer ich bin? Wenn das, was ich getan habe, nicht mit der Wahrnehmung meines Gegenübers übereinstimmt?
Was bleibt mir, wenn das innerste Gefühl keine Antwort mehr darauf zu geben weiß, wen ich liebe? Kleists Fragen zielen auf den Kern unserer Identitätskonstruktion und dafür setzt er die Figuren seines Lustspiels einer Versuchsanordnung der besonderen Art aus: Alkmene erwartet die Rückkehr ihres geliebten und ver­missten Ehemanns Amphitryon aus dem Krieg. Am Abend vor seiner Ankunft erscheint Jupiter in Gestalt Amphitryons und verbringt eine Nacht mit Alkmene. Sie bemerkt nicht, dass ein Gott das Bett mit ihr teilt, und als sie mit dem tatsächlich heimgekehrten Ehemann das Glück der vorigen Nacht heraufbeschwören will, wähnt dieser Schreckliches. Denn er war ja nicht da. Alle Sicherheiten schwinden, und die Krise um das eigene Ich bricht genauso hervor wie das Misstrauen gegenüber dem Gegenüber.
Der ehemalige Offizier Heinrich von Kleist verwandelte 1807 die gleichnamige äußere Verwechslungskomödie Molièrs in eine innere Verwechslungstragödie. Stephan Kimmig, bekannt für seine sensiblen Auseinandersetzungen mit menschlichen Innenwelten, untersucht Kleists Tragikomödie auf die psychologischen Untiefen ddes Einzelnen in unserer Gesell­schaft. Nach seinen Inszenierungen von Platonowa und Dance Nation arbeitet er mit Amphitryon zum ersten Mal im Ballhof.

Woyzeck von Georg Büchner
Woyzeck – „guter Kerl und armer Teufel“ – ist Soldat und verfügt über ein geringes Auskommen. Er bessert es auf, indem er seinen Hauptmann rasiert und sich der Wissenschaft als Versuchsobjekt zur Verfügung stellt. Denn da sind Marie und sein uneheliches Kind Christian, die versorgt sein wollen. Als ihn Marie betrügt, brechen Angst, Trieb und Hass aus ihm hervor, und er ersticht sie.
„Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einem, wenn man hinabsieht“, lässt Büchner seinen Woyzeck erkennen und liefert ihm damit die Einsicht in die Spannung, der er selbst ausgesetzt ist. Woyzeck scheitert gnadenlos an seinem Versuch, ein guter Mensch zu sein. Das System, in das er hineingeboren wurde, ist eines der Gewalt. Alle unterliegen ihr. Woyzeck ist kein Einzelfall, sondern Sinnbild eines zutiefst menschlichen Dilemmas. Opfer und Täter zugleich, befindet er sich im Zirkel der Gewalt, unfähig sich daraus zu lösen, und setzt fort, was er erfahren hat. Dabei stattet Büchner ihn und die anderen Figuren mit einer rohen, kraftvollen und bedingungslosen Sprache aus, die berührt und mitnimmt wie die Geschichte selbst.
Lilja Rupprecht bohrt sich in ihren Arbeiten in die Gefühlswelten ihrer Figuren hinein und sucht gleichsam mit Kraft und Zartheit nach ihren inneren Notwendigkeiten, um sie spürbar werden zu lassen. Nach Werther und Judith wird Woyzeck ihre dritte Arbeit am Schauspiel Hannover.

Bungalow nach dem Roman von Helene Hegemann
Die junge Charlie wohnt mit ihrer Mutter in der kleinen Wohnung einer Mietskaserne. Vom Balkon aus hat sie freien Blick auf die neu errichteten Edel-Bungalows in der Nachbarschaft. Als dort kurze Zeit später ein junges Paar einzieht, beginnt Charlie die beiden zu beobachten. Georg und Marie werden zu einer Obsession für sie. Das Leben des Schauspieler*innen-Paares erscheint luxuriös und aufregend. In ihrem Kopf verwischen die Grenzen zwischen dem eigenen Leben und dem des Paares. Als Charlie die beiden leib­haftig trifft, entwickelt sich eine ungewöhnliche ménage-à-trois, schwankend zwischen Spiel und Erotik, zwischen Vertrauen und Gefahr.
Helene Hegemann verbindet in ihrem Buch eine Vielzahl philosophischer und popkultureller Referenzen zu einer „soziokulturellen Mauerschau“ (NZZ). Neben dystopischen Elementen und absurd-komischen Wendungen erzählt sie vom Verhältnis zwischen Mutter und Tochter und deren unbedingtem Willen nach Freiheit.
Helene Hegemann erlangte 2010 große Auf­merksamkeit mit ihrem Roman Axolotl Roadkill, der in 20 Sprachen übersetzt wurde. Sie verfilmte ihr Buch selbst und wurde dafür beim Sundance Festival 2017 ausgezeichnet.
Bungalow ist nach Jage zwei Tiger Hegemanns dritter Roman und war u.a. für den Deutschen Buchpreis 2018 nominiert. Die junge Regisseurin Rebekka David wird Hegemanns Roman adaptieren und die Geschichte über Erwachsenwerden, Sehnsucht und den Versuch, aus pre­kären Verhältnissen auszubrechen, auf die Bühne bringen.

Bitch, Iʼm a Goddess
nach Bakkhai von Euripides in einer Version von Anne Carson
Ordnung versus Anarchie, Vernunft versus Gefühl, Ekstase versus Beherrschung: Bitch, Iʼm a Goddess bedient sich des antiken Backchen­Mythos und erzählt von einer Welt, die an der Radikalisierung ihrer Gegensätze zerbricht.
König Pentheus, Herrscher über Theben, installiert einen säkularen Staat. Fern der göttlichen Ordnung meint er, eine Gesellschaft in Frieden und Zufriedenheit etablieren zu können, indem er allein auf ihre Vernunft setzt. Doch Pentheus hat die Rechnung ohne Dionysos und die Sehnsucht des Menschen gemacht, zu denken und zu fühlen. Aus Groll, dass sie (ja, sie) nicht länger als Göttin anerkannt ist, demonstriert Dionysos ihre Macht und verführt das Volk zu Orgien in den Wäldern vor den Mauern der Stadt. Selbst die Königin Mutter fällt der Magie des Exzesses anheim. Im folgenden Kampf um die Gunst des Volkes stehen sich die kühle Vernunft des Pentheus und das anarchische Lustprinzip des Dionysos gegenüber.
Vernunft oder Gefühl – kann eines davon das fragile Konstrukt unseres Zusammenlebens sichern? Antidemokratische Kräfte wirken in Europa und darüber hinaus. Wie reagieren wir darauf, was können wir tun, ohne dem Populismus zu verfallen?
Der israelische Regisseur und Choreograf Guy Weizman will sich diesen elementaren Fragen unseres Zusammenlebens stellen. Seit 2017 leitet er gemeinsam mit Roni Haver das Noord Nederlands Toneel Groningen. Mit Ensemblemitgliedern des Schauspiel Hannover entsteht ein Theaterabend an den Schnittstellen von Schauspiel, Tanz und Performance.

www.staatstheater-hannover.de