Fehler tauchen auf, Missgeschicke geschehen, Dinge nehmen Schaden, vieles bleibt unvollendet oder im Provisorium. Das Unperfekte begleitet unser Leben und wir lernen durch unterschiedliche Strategien, damit umzugehen. Auch in gestalterischen Prozessen, in der materiellen Welt und in Produktionen ist das Unvollkommene selbst wie auch seine Folgen äusserst vielfältig – vom Schönheitsfehler, der unerwartet ein wertvolles Unikat definiert bis hin zur ruinösen Fehlproduktion oder dem gescheiterten Bauprojekt.

HB Südwest, Zürich: Langjähriges Grossprojekt nach Volksabstimmung an der Urne gescheitert. Plakat von Raymond Naef, 1988. Schweizerisches Sozialarchiv © Schweizerisches Sozialarchiv

HB Südwest, Zürich: Langjähriges Grossprojekt nach Volksabstimmung an der Urne gescheitert. Plakat von Raymond Naef, 1988. Schweizerisches Sozialarchiv © Schweizerisches Sozialarchiv

Das Gewerbemuseum Winterthur lotet mit der Ausstellung „Perfectly Imperfect” die Spannung zwischen Perfektion und Abweichung aus und nimmt sich der Qualitäten des vermeintlich Fehlerhaften, der Bedeu-tung des Unfertigen, der Patina des Vergänglichen oder der Kunst der Reparatur an. Sie widmet sich kritisch einem Qualitätsstreben, das nicht erfüllt werden kann oder absichtlich und kreativ unterwandert wird. In gestalterischen Verfahren und in unserer nächsten Lebensumgebung entpuppt sich die Balance zwischen einem notwendigen oder vermeintlichen Anspruch auf Perfektion und dem Umgang mit schein-baren und folgenschweren Fehlern als komplex. So fragt sich, wann ist etwas überhaupt perfekt? Was ist der Wert von scheinbaren Defiziten? Falsche Entscheidungen oder Unbedachtheit, technische Mängel, Konstruktionsfehler und die Eigensinnigkeit von Werkstoffen oder deren Abnutzung und Vergänglichkeit – die Gründe für das Unperfekte sind vielfältig.

Peter Bauhuis: Seria, 2020 © Peter Bauhuis

Peter Bauhuis: Seria, 2020 © Peter Bauhuis

Die Schau zeigt beispielhaft auf, inwiefern die Folgen von Makeln, Mankos und Defekten schädigende oder positive Auswirkungen haben können, wie beispielsweise der reizvolle Schönheitsfehler, der ein Objekt zu etwas ganz Besonderem macht. So steht die Abweichung vom Ideal im Fokus und es wird hinterfragt, wie Lädiertes aufgefangen oder repariert wird, wiederverwendete Materialressourcen zu neuen Lösungen führen oder wie das Scheitern und das Spiel mit dem Zufall neue Wege aufzeigen können. Denn: „Perfectly Imperfect” ist viel mehr als Mankos und Defekte.

Veranstaltungen
Ein breites Veranstaltungsprogramm begleitet und vertieft die Ausstellung: thematische und dialogische Führungen mit Kurator:innen und Expert:innen, Talks, Workshops für alle und vieles mehr steht auf dem Programm. Aufgegriffen werden dabei Themen wie Altlasten und Ausschüsse, oder die Frage, wann überhaupt etwas fertig ist. Aber auch über eine Szenografie auf Zeit und die Weiterverwendung von Ausstellungsmaterial wird gesprochen. Talks wie beispielsweise „An der Stadt scheitern”, in dem in Kooperation mit dem Forum Architektur Winterthur über das Lernen von Falschannahmen und von blinden Flecken debattiert wird; im Klavierkonzert „Nobody’s perfect” kann Unfertigem von Berühmtheiten wie Mozart, Bach oder Schönberg gelauscht werden und in der Lesung „Kleines Lob der Imperfektion – an alle schlechten Eltern” des Autoren und Journalisten Mikael Krogerus können sich wohl nicht nur Eltern für einmal entspannt zurücklehnen.
24. November 2023 bis 12. Mai 2024
www.gewerbemuseum.ch

Heike Bolling: Errors in Production, Record, 2006 © 2023, ProLitteris, Zurich

Heike Bolling: Errors in Production, Record, 2006 © 2023, ProLitteris, Zurich