Mit der Duo-Ausstellung JAZZ. von Rene Matić (*1997, Großbritiannien) und Oscar Murillo (*1986, Kolumbien) gelingt der Kunsthalle Wien eine kuratorische Sternstunde. Turner-Preisträger Oscar Murillo, der bereits seit einer Dekade am internationalen Kunstparkett reüssiert, wird seine großformatigen Malereien, sowie zarte Papierarbeiten erstmals in Wien zeigen; In Dialog treten Murillos Arbeiten mit denen von Rene Matić, die ebenfalls schon in renommierten Sammlungen wie der Tate Britain und der Fondation Louis Vuitton vertreten sind. Matić wird mit vier neuen, für die Ausstellung beauftragten Werken – zwei Filmen, einer Fotoserie und einer Sound-Arbeit – sowie einer bestehenden Wandinstallation in JAZZ. vorgestellt.
Matić und Murillo teilen großzügig ihre Gedanken, Gefühle und Praktiken mit anderen; doch sie bleiben zugleich dem Grundsatz verpflichtet, dass „alle ein Recht auf Opazität haben“. Wie der Philosoph und Dichter Édouard Glissant in seinem Buch Poétique de la Relation (engl. Poetics of Relation [Poetik der Beziehung]) argumentiert, übersieht die Transparenz – durch ihre Definitions- und Klärungsversuche – jene Aspekte des Selbst, die schwer fassbar oder sogar unbegreiflich sind. Opazität hingegen akzeptiert einfach, dass nicht alles, was uns ausmacht, restlos verstanden werden kann.
Und obwohl sich die Praktiken von Matić und Murillo eher zu ergänzen scheinen, überschneiden sich wichtige Aspekte. So ähnelt die gestische, an Action Painting erinnernde Malerei, die oft im Mittelpunkt von Murillos Werk steht, dem Einsatz von Tanz und Tanzen in Matics Videos; beide teilen eine spontane, unbeschwerte und improvisierte Herangehensweise. Die Künstler*innen nutzen in ihren Arbeitsprozessen und ihrer Produktion Intuition, eine kalkulierte Intuition – man könnte auch von strategisch eingesetzter Intuition sprechen. Zudem gelingt es beiden Künstler*innen, sich in einem kulturellen Kontext, der alles und jede*n klassifizieren und glätten will, einen Raum der Unabhängigkeit zu erkämpfen. Einen solchen Raum einzunehmen erfordert zunächst einen Akt der Disaffiliation (ebenfalls ein Glissant’scher Begriff), um sich von etablierten Traditionen lösen und einen Raum für nichtkontinuierliche, neuartige Denkweisen zu schaffen, und dann die eigenen (kunst-)historischen Narrative und Genealogien neu zu formulieren. Dies gilt in intellektueller Hinsicht ebenso wie für zwischenmenschliche Beziehungen. Ein Aspekt im Herzen der Praktiken beider Künstler, weil in vielerlei Hinsicht Murillos und Matics grundlegende (oder übergeordnete) Empfindung Liebe ist.
14. März bis 28. Juli 2024
https://kunsthallewien.at