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Das Burgtheater ist ein Ort der Kunst und der Künstler – wie auch immer sie ihre Herkunft beschreiben. Es macht neue Sprachen und alte Sprachen in neuen Tonlagen hörbar, mitunter selber neue Sprachen hervorbringen. Es ist ein Raum für den lebendigen künstlerischen Austausch mit Denkweisen und Ausdrucksformen jenseits unserer inneren und äußeren Grenzen und Begrenzungen. Es ist ein Raum der Extreme – extrem kontrovers, extrem vielgestaltig, extrem dringend, extrem zeitgenössisch, extrem laut, extrem leise, extrem österreichisch, extrem international. In diesen Raum ist das ganze Spektrum der Gesellschaft eingeladen.
Das Burgtheater begreift sich also fortan und endgültig nicht mehr als „teutsches Nationaltheater“, das nur in einer Zunge spricht und nur auf einem Ohr hört. Es wird nicht fertig werden mit sich und den Sprachen, die in ihm und um es herum gesprochen werden. Es wird überhaupt nie fertig werden.

„Da erdröhnte –
Aber Scham und Scheu halten uns ab, erzählerisch den Mund vollzunehmen von dem, was da erscholl und geschah. Nur hier keine Prahlerei, kein Jägerlatein! Die Stimme gemäßigt zu der Aussage, dass also der Donnerschlag erdröhnte, von dem wir alle wissen, diese betäubende Detonation lang angesammelter Unheilsgemenge von Stumpfsinn und Gereiztheit, – ein historischer Donnerschlag, mit gedämpftem Respekt zu sagen, der die Grundfesten der Welt erschütterte, für uns aber der Donnerschlag, der den Zauberberg sprengt und den Siebenschläfer unsanft vor seine Tore setzt. Verdutzt sitzt er im Grase und reibt sich die Augen, wie ein Mann, der es trotz mancher Ermahnung versäumt hat, die Presse zu lesen.“
Der Donnerschlag, der Hans Castorp aus seiner siebenjährigen „Verzauberung“ in einem Davoser Lungensanatorium reißt, aus dem luxuriösen Refugium eines unzeitgemäß gewordenen europäischen Bürgertums, aus seiner Suche nach Lebenssteigerung in einer „Atmosphäre von Tod und Amüsement“ – ist der Erste Weltkrieg. Eben hatte er noch mit zwei Armeniern, zwei Finnen, einem usbekischen Juden und einem Kurden am „schlechten Russentisch“ gespeist, schon taumelt er in die Schützengräben Europas. Das Buch dieser sieben Vorkriegsjahre, das sich wie sein Protagonist von den Zeitläuften im „Flachland“ scheinbar weit entfernt hält, ist nicht zuletzt die Beschreibung der „großen Gereiztheit“, die diesem europäischen und globalen Flächenbrand vorangeht.
28. Januar 2023

www.burgtheater.at