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Das Burgtheater ist ein Ort der Kunst und der Künstler – wie auch immer sie ihre Herkunft beschreiben. Es macht neue Sprachen und alte Sprachen in neuen Tonlagen hörbar, mitunter selber neue Sprachen hervorbringen. Es ist ein Raum für den lebendigen künstlerischen Austausch mit Denkweisen und Ausdrucksformen jenseits unserer inneren und äußeren Grenzen und Begrenzungen. Es ist ein Raum der Extreme – extrem kontrovers, extrem vielgestaltig, extrem dringend, extrem zeitgenössisch, extrem laut, extrem leise, extrem österreichisch, extrem international. In diesen Raum ist das ganze Spektrum der Gesellschaft eingeladen.
Das Burgtheater begreift sich also fortan und endgültig nicht mehr als „teutsches Nationaltheater“, das nur in einer Zunge spricht und nur auf einem Ohr hört. Es wird nicht fertig werden mit sich und den Sprachen, die in ihm und um es herum gesprochen werden. Es wird überhaupt nie fertig werden.

Fräulein Julie von August Strindberg
Fräulein Julie, die junge Gräfin, und ihr Diener, Jean, kommen einander während des Sommers näher, sie flirten schamlos, fallen übereinander her, entknoten und bekriegen einander dann. Trotz ihrer erotischen Anziehung können sie die sozialen Konventionen nicht überwinden. Fräulein Julie verkörpert die im Untergang begriffene Feudalordnung, Jean die aufsteigende Arbeiterklasse. Nach dieser “Schande” sieht Julie nur noch im Suizid eine Lösung.
Fräulein Julie ist das meistgespielte Stück August Strindbergs. Strindbergs Elternhaus wie auch seine erste Ehe waren ebenfalls von großen Klassenunterschieden geprägt. Der Autor wusste, wovon er schrieb, und legte den Fokus vielleicht deshalb auf die Zeichnung der zerrissenen, widersprüchlichen, teils ungehemmten Charaktere. Strindbergs Anspruch, das Leben ungeschönt auf die Bühne zu bringen, seine formale Radikalität, erklären vielleicht die bis heute bestehende Faszination für den 1892 in Berlin uraufgeführten Text. Wie geschaffen füreinander scheinen Mateja Koležnik und Fräulein Julie. Über ihre Arbeiten sagt die slowenische Regisseurin: „Ich zeige Menschen in Ausnahmesituationen. Energie und Spannung werden so größer. Ich komme gern direkt auf den Punkt, lasse Einleitungen und Floskeln weg.” Koležnik schafft mit ihrem Bühnenbildner Raimund Orfeo Voigt merkwürdige Räume des Übergangs und erzeugt in diesen verdichtete laborhafte Situationen, in denen sie ihre Figuren mikroskopisch genau psychologisch erkundet.
Premiere März 2021

Die Troerinnen von Euripides
Der Krieg ist nicht vorbei. Die Frauen sitzen mit ihren Kindern wie Geflüchtete, wie Geiseln, wie Trophäen in den Trümmern der zerstörten Stadt. Die siegreichen Männer rüsten sich zur Heimfahrt. Die Schlacht um Troja ist geschlagen, aber der Krieg ist nicht vorbei. Die Frauen haben alles verloren, was sie besaßen, jetzt soll ihnen noch die Verfügungsgewalt über ihre Leben, ihre Biografien, ihre Körper genommen werden. Kassandra soll Agamemnon gehören, Andromache dem Neoptolemos und Hekuba dem Odysseus. Menelaos wird Helena, seine Frau, die ihn für den trojanischen Prinzen Paris verließ und den Krieg auslöste, wieder “nach Hause” bringen, aber nur, weil er es vorzieht, sie dort zu opfern, anstatt in Troja; Polyxena gar wird einem Toten zum Geschenk gemacht und auf dem Grab des Achill getötet.
Bevor die Stadt endgültig in Flammen aufgeht, wollen die Sieger aber auch noch jede mögliche Zukunft vernichtet haben – und töten dafür einen kleinen Jungen, der sterben muss, weil er als Enkel des toten Königs in den Augen der Sieger ein Symbol für diese Zukunft darstellt. Das Stück erzählt in großen Gesängen vom Leid und Unrecht des Krieges aus Sicht der Frauen, aber die Troerinnen sind auch in sehr konkrete Kämpfe um Schuld und Unschuld, um die Verantwortung der Überlebenden und das Bild, das sie hinterlassen werden, verstrickt – so kämpfen sie in mehr als einer Hinsicht um ihr Leben. Denn der Krieg ist nicht vorbei.
Die australische Regisseurin Adena Jacobs hat sich mit bilderreichen Inszenierungen klassischer antiker wie zeitgenössischer Stoffe und einer dezidiert feministischen Ausrichtung ihrer Arbeit einen internationalen Namen gemacht. Die Troerinnen ist ihre erste Arbeit auf dem europäischen Festland.
Premiere März 2021

Ode von Thomas Melle
Wie frei ist die Kunst? Anne Fratzer, Akademierektorin und renommierte Künstlerin auf der Spitze ihres Erfolgs, widmet überraschend ihr neuestes Werk den Nationalsozialisten – aus einem scheinbar ganz privaten Grund: Weil die Nazis einst ihren gewalttätigen Alkoholiker-Großvater ermordeten, so die Künstlerin, wurden der Großmutter und ihrer Familie Qualen erspart. So hätten die Täter von einst eine Ode verdient. Misslungener Scherz, ernsthafte Provokation oder genialer Tabubruch?
Die Kunstwelt und bald die ganze Gesellschaft geraten außer sich. In der hypernervösen Debatte prallen extreme Meinungen aufeinander und jeder Maßstab geht verloren. Rektorin Fratzer verliert erst ihren Ruf, dann ihre Stelle, und bald darauf ihr Leben. Doch das ist erst der Anfang. Auf den Straßen hat sich bereits „Die Wehr” formiert, ein Zusammenschluss „verantwortungsvoller” Bürger. Aber was fordern sie eigentlich? Freiheit von Irritation und Ambivalenz? Klare, verständliche Eindeutigkeit?
Thomas Melle hat ein gleichermaßen abstrakt-verstörendes wie rasant-komisches Stück geschrieben, dessen Themen weit über den Kunstkosmos, in dem es spielt, hinausreichen. Denn wie weit Äußerungen gehen dürfen, wer für wen sprechen soll, und welchen Raum Identitätspolitik, Erinnerungskultur und Heimatdebatten im öffentlichen Diskurs einnehmen – diese Fragen berühren grundlegend das Selbstverständnis unserer sich als frei bezeichnenden Gesellschaften. Der Budapester Regisseur András Dömötör inszeniert nach Arbeiten in Berlin, Basel und Graz zum ersten Mal in Wien.
Premiere März 2021

Die Welt ist Alles, was der Fall ist
Dead Centre nach Ludwig Wittgenstein
Das britisch-irische Regie- und Autorenduo Dead Centre stellte sich dem Wiener Publikum mit seiner Adaption von Sigmund Freuds Traumdeutung vor. Nun nähert das Duo sich dem bedeutendsten Wiener Philosophen und macht die Theaterbühne zum Schauplatz von Wittgensteins gescheitertem Traum, einer Welt, die mit Sätzen beschreibbar ist.
Uraufführung April 2021

Kinder der Sonne
Simon Stone nach Maxim Gorki
In der Stadt wütet eine Epidemie, viele Bewohner verdächtigen die Ärzte, sie hätten die Menschen krankgemacht, um sich daran zu bereichern. 1905 thematisiert Gorki in seinem Stück KINDER DER SONNE den Choleraaufstand von 1892. Die von den Herrschenden in Unwissenheit gehaltene Bevölkerung sucht die Schuld an der Epidemie in der Geldgeilheit der Ärzte und will dem Protagonisten Protassow – einem Chemiker – ans Leben.
Die Welt in „Kinder der Sonne” ist in ein Innen und Außen aufgeteilt. Innen wird der neue Mensch erörtert. Um Protassow versammeln sich Künstler und Intellektuelle. Sie suchen nach dem sinnstiftenden Element und diskutieren die Probleme der Gesellschaft. Protassow glaubt bedingungslos an den wissenschaftlichen Fortschritt und daran, dass ein neuer Mensch entsteht, der alles Dagewesene überflügelt. Seine Frau setzt auf die Schönheit der Kunst und seine Schwester lebt in der Angst vor einer pöbelnden Masse, die die soziale Ungerechtigkeit nicht länger hinnehmen und alles vernichten wird. Die Parallelitäten zum Ausbruch des Corona-Virus und dem Umgang damit sind nicht zufällig. Simon Stone wird eine eigene Bearbeitung des Klassikers im Burgtheater vorstellen, in dem er die bereits bei Gorki angelegten Themen ins Hier und Jetzt transportiert. Was hält die Welt zusammen und wie funktioniert, von dieser Frage ausgehend, der Mikrokosmos Familie oder Beziehung? Wie entlarvt eine Gesellschaft Verschwörungstheorien und wer ist wie und wodurch informiert? Neurotisch, unglücklich, egoistisch hat sich jeder der Protagonisten in seinem Kokon eingerichtet. Draußen auf der Straße findet eine wirkliche Revolte nicht statt. Eine Utopie ist bei Gorki und Stone nicht in Sicht.
Uraufführung April 2021

Reich des Todes von Rainald Goetz
„Reich des Todes” heißt das neue Stück, das Robert Borgmann zur Österreichischen Erstaufführung bringen wird. Rainald Goetz beschreibt den 11. September 2001 darin als Initialzündung der gesellschaftlichen globalen Katastrophe, deren Auswirkungen wir in Gänze noch nicht zu überschauen in der Lage sind. Der zweifach – als Historiker und Mediziner – promovierte Goetz schreibt auch dieses Theaterstück als Wissenschaftler, als Struktur- und Zahlenfanatiker, schonungslos, unsentimental, analytisch und dabei dennoch in seiner ihm eigenen Atemlosigkeit und voller Witz. In einem klar umrissenen zeitlichen Bogen skizziert er globale politische Entwicklungslinien und die Protagonisten darin und endet mit einem Fest und natürlich mit Nachdenklichkeit.
Österreichische Erstaufführung Mai 2021

www.burgtheater.at